Wann im Bundestag das Gewissen zählt
ZDF
Gewissensfrage bei der Impfpflicht - Koalitionszwang beim Werbeverbot für Abtreibung. Warum ethische Fragen nicht gleich behandelt werden.
Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht im Kampf gegen Corona und die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen - in dieser Woche zwei bestimmende innenpolitische Themen in Berlin. Beide Entscheidungen betreffen emotional aufgeladene Debatten. Doch entschieden wird auf unterschiedlichem Weg.
Während bei der Impfpflicht die Gewissensfrage gestellt und der Fraktionszwang aufgehoben wird, ist die Streichung von Paragraf 219a ein Prestigeprojekt des Koalitionsvertrags. Laut beklatscht im Bundestag - von den Regierungsparteien.
Das Werbeverbot für Abtreibungen in Paragraf 219a untersagt das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen aus finanziellem Vorteil heraus oder wenn dies in grob anstößiger Weise geschieht. Damit soll auch sichergestellt werden, dass Abtreibung nicht als normale Dienstleistung angesehen wird.
Wann sind ethische Fragen im Parlament Gewissensfragen und wann nicht? Darauf antwortet Justizminister Marco Buschmann ZDFheute schriftlich: "Eine Impflicht würde einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit begründen. Das ist für viele Menschen ein besonders sensibler Bereich."
"Nicht zuletzt deshalb wird die Frage der Impfpflicht derzeit ja auch so emotional und hitzig diskutiert wie keine andere politische Frage. Beides spricht für das gewählte Vorgehen", so Buschmann.
Im Fall von Paragraf 219a sei das anders: "Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Schwangerschaftsabbruch straffrei möglich ist, werde von der Abschaffung von Paragraf 219a nicht berührt. (...) Diese Umstände rechtfertigen es, hier auf das übliche parlamentarische Verfahren zu setzen", so die Sicht des Bundesjustizministers.
Was Buschmann nicht erwähnt: 2018 löste der Streit um 219a eine Krise in der Großen Koalition aus. Mit Anträgen versuchte die FDP damals die Abstimmung über 219a zur Gewissensfrage im Parlament zu machen. Rechnerisch gab es eine Mehrheit für die Streichung - nur eben nicht in der Großen Koalition. Am Ende einigten sich Union und SPD auf einen Kompromiss und reformierten das Gesetz.