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Die Zerstörung des Trugbildes

Die Zerstörung des Trugbildes

Süddeutsche Zeitung
Saturday, February 12, 2022 05:03:09 PM UTC

Die zwei Ausstellungen über die "Verbrechen der Wehrmacht" veränderten das Bild der Deutschen vom Zweiten Weltkrieg. Doch 20 Jahre später zeigt der neu aufgelegte Katalog: Es braucht nun neue Arten des Erinnerns.

Neue Formen des Gedenkens hat der Bundespräsident angemahnt, und der Deutsche Bundestag hat im Herbst 2020 die Errichtung einer "Dokumentations-, Bildungs- und Erinnerungsstätte zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft" beschlossen. Die Anregung kam aus der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Ein Ort soll entstehen, der dem Terror und den Leiden aller Opfernationen gewidmet ist, auch den Kriegsgefangenen unter deutscher und nationalsozialistischer Herrschaft. Auf dem Weg dahin liegt auch der Rückblick auf die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht", deren Eröffnung nun 20 Jahre zurückliegt.

Nach dem Eichmann-Tribunal 1961, den Auschwitz-Prozessen und, vor allem, dem TV-Ereignis "Holocaust" 1979 war die Wehrmachtsausstellung der notwendige Paukenschlag im kollektiven Erinnern. Initiiert und finanziert vom Hamburger Institut für Sozialforschung wurde sie im März 1995 eröffnet und wanderte vier Jahre lang durch deutsche und österreichische Städte. Das Projekt setzte auf Aufklärung durch Information, löste nicht nur eine wichtige Bundestagsdebatte (am 13. März 1997) aus, sondern konfrontierte zum ersten Mal das breite Publikum mit dem Trugbild, dass die "saubere Wehrmacht" einen ehrenvollen Krieg gekämpft habe, während das Menschheitsverbrechen Holocaust, die praktizierte Rassen- und Vernichtungsideologie gegen die Sowjetunion und deren Zivilgesellschaft von bösen Mächten und den Schurken der Kamarilla Hitlers, also einer Minderheit fanatischer Nationalsozialisten, verübt worden seien. Quasi hinter dem Rücken der tapferen Wehrmacht und unbemerkt von der Mehrheit braver und ahnungsloser Deutscher sei das Unheil geschehen, an dem die Mehrheit keinen Anteil habe, sich deshalb auch nicht erinnern oder gar der Opfer trauernd gedenken müsse.

Eine neue Initiative will unbekannte Aufnahmen von Deportationen im NS-Staat ausfindig machen - um der Opfer zu gedenken und die vorherrschende Täterperspektive zu durchbrechen.   Von Thomas Balbierer

Die Ausstellung zeigte, wie die Wehrmacht die Intention des Vernichtungskriegs im Osten mitgetragen hatte, dass die Missachtung des Völkerrechts gegenüber Kriegsgefangenen der Roten Armee, gegenüber "bolschewistischen Kommissaren" und der Zivilbevölkerung insgesamt zur deutschen Strategie gehörten. In Fotos und Dokumenten zeigte die Ausstellung nicht nur die Kriegsverbrechen der Wehrmacht, sondern auch Szenen des Judenmords wie in Kriwoj Rog oder in Kamenez-Podolsk im Herbst 1941 in der Ukraine. Sie führte vor Augen, dass der Raub lebenswichtiger Ressourcen den Hungertod zahlloser Menschen kalkulierte, die weder Uniform trugen noch irgendwelche feindliche Gesinnung hatten, die als Kinder, Frauen und Greise keiner Gegenwehr fähig waren. Die Belagerung Leningrads vom 8. September 1941 bis zum 18. Januar 1944 war keineswegs militärische Notwendigkeit: Möglichst viele der drei Millionen Einwohner der Stadt sollten verhungern. Etwa ein Drittel der Bürger Leningrads gingen im Hungerkrieg gegen ihre Stadt zugrunde.

Der Schrecken der mit Fotos belegten Tatsachen erzeugte nicht nur bei konservativen Patrioten Abwehr. Die Kinder und Enkel einstiger deutscher Soldaten wollten das Bild der "sauberen Wehrmacht" bewahren. Auch wenn der Krieg verloren, seine Absicht verbrecherisch und die Kriegführung barbarisch gewesen war, bedrohte die mit der Ausstellung intendierte historische Aufklärung zu viele persönliche Schicksale, Entbehrungen und Verluste: Es war schlimm genug, dass der Kreuzzug gegen den Kommunismus, die Hoffnung auf Eroberung von "Lebensraum", der Traum vom Herrenmenschentum gescheitert waren. Jetzt musste auch noch der Vorwurf aus der Welt geschafft werden, der Krieg sei ein Verbrechen, die ihn geführt hatten, seien Verbrecher oder doch Mitwirkende, mindestens Handlanger gewesen.

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