Macron hat sich vor allem Zeit gekauft
Süddeutsche Zeitung
Die Amtszeit des französischen Präsidenten neigt sich dem Ende zu. Pünktlich zur Wahl schnurrt die französische Wirtschaft. Aber die großen ökonomischen und sozialen Probleme des Landes hat auch Macron nicht gelöst.
Bruno Le Maire hat gerade oft gute Laune. Sein Job macht ihm Spaß, das merkt man dem französischen Wirtschaftsminister an. Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass Le Maire lächelnd einer Fernsehkamera zugewandt vorrechnet, wie glänzend es der französischen Wirtschaft gehe. Drei Monate vor der Wahl will Le Maire Bilanz ziehen und zeigen, dass sein Chef, Emmanuel Macron, den Franzosen trotz Pandemie geliefert habe, was er ihnen 2017 versprochen hat: die französische Wirtschaft auf Erfolgskurs zu bringen. Das sieht Macrons Regierung als ihren zentralen Trumpf im Wahlkampf an. Denn Umfragen zeigen, dass materielle Themen wie Kaufkraft und Ungleichheit ganz oben stehen auf der Liste der Prioritäten der Wählerinnen und Wähler. Le Maire sagt: "Wen die Leute wählen, hängt davon ab, was sie auf dem Teller haben. Und unsere Wirtschaftsbilanz ist astrein."
Doch nicht alle Menschen in Frankreich glauben diese Geschichte. Viele halten Macron für einen abgehobenen Ex-Banker, der Steuern senke und sich lieber um Start-ups kümmere als um Familien. Das Etikett "Präsident der Reichen" wird Macron nicht mehr los. Zu sehr steckt in den Köpfen, wie er einmal einen arbeitslosen Gärtner bei einer öffentlichen Veranstaltung aufforderte, er müsse doch "nur die Straße überqueren", um einen Job zu finden. Oder wie er bei der Einweihung eines Firmen-Campus redete von "Menschen, die Erfolg haben, und Menschen, die nichts sind".
Angetreten war Macron mit dem Versprechen, eine Politik zu machen, die nicht links, nicht rechts sei; einen Mittelweg zu finden, Frankreichs Staat und Wirtschaft zu reformieren, aber die Franzosen nicht in die Armut zu treiben. Fünf Jahre später steht fest: Seine wichtigsten Pläne konnte er nicht umsetzen, viele Probleme haben sich unter ihm weiter verschärft. Viele von Macrons zentralen Reformen scheiterten auch deswegen am Widerstand des Volkes, weil er Reiche nicht entsprechend an den Kosten des Wandels beteiligte.
Dabei hat Macron in der Pandemie nicht geknausert. Er hat mehr als 240 Milliarden Euro ausgegeben für Kurzarbeitergeld und weitere Zuschüsse. Die Hilfen für Arbeitnehmer fielen in Frankreich viel üppiger aus als in Deutschland. Studien zeigen, dass die französische Mittelschicht ihren Lebensstandard unter Macron steigern konnte, trotz der schlimmsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Zudem hat Macron ein wichtiges Wahlversprechen eingelöst: Er hat Milliarden aus Brüssel mitgebracht. "Vor allem Macron ist es zu verdanken, dass die EU in der Krise solidarisch reagiert hat. Denn er hat Merkel überzeugt von der Idee des europäischen Wiederaufbauplans", sagt der Ökonom Moritz Schularick, der in Bonn und Paris forscht. EU-Gelder machen etwa 40 Prozent des französischen Konjunkturpakets im Volumen von 100 Milliarden Euro aus.
Heute wächst die französische Wirtschaft dank dieser Investitionen mit sieben Prozent deutlich schneller als andere Volkswirtschaften in der EU, und es finden so viele Menschen Arbeit wie zuletzt vor 14 Jahren. Auch die hohe Jugendarbeitslosigkeit sank unter Macron, wenngleich immer noch jeder Fünfte zwischen 15 und 24 keinen Job hat.