Georg-Büchner-Preis für Clemens J. Setz: Ein Befreiungszauber
Frankfurter Rundschau
Der Österreicher Clemens J. Setz Georg-Büchner-Preis
Clemens J. Setz ist ein so merkwürdiger Schriftsteller, dass sich die Frage, ob man mit 38 Jahren notwendigerweise bereits den Georg-Büchner-Preis erhalten muss, in seinem Fall nicht stellt. Hans-Magnus Enzensberger war 34. Georg Büchner starb mit 23. Man vergisst immer, wie jung die Alten und die Toten früher waren; ein dummer Irrtum, der Clemens J. Setz gewiss nicht unterlaufen würde. „Wie alle Menschen“, heißt es über einen ängstlichen Mann in dem Erzählungsband „Der Trost runder Dinge“ (2019), „begegnete Zweigl jedes Jahr seinem zukünftigen Todesdatum, ohne es zu wissen. Er glitt darüber hinweg wie der klappernde Haken über die Felder eines Glücksrads.“ Setz mag für sein hohes und ausgiebig ausgeführtes, gelegentlich zelebriertes, gelegentlich auch penetrantes Sprachbewusstsein berühmt sein, aber er hat dazu noch eine gute Übersicht über menschliche Dinge, eine geheimnisvoll günstige (für uns, vielleicht nicht für ihn selbst) Position, von der aus er direkt hinein in die Abgründe des Lebens schaut. Auch darum ist sein dickster Roman, ein echter Schmöker, das Opus magnum eines Anfangdreißigers, ein solches Wunderwerk, dem man mit Begriffen wie „postmodern“ und „popkulturell“ beizukommen versuchte, aber vergeblich. „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ (2015) erzählt in vielen ausufernden Details von verzweifeltem Sex, rasanter Einsamkeit, dem Anquasseln gegen Angst und Tod und dem brutal auf Selbstschutz ausgerichteten Umgang mit der verstörenden Arbeit in einem Pflegeheim. Das ist Setzisch grell und auch flott. Aber Natalie, die extrem gestörte Hauptfigur, die in „aurige“ Zustände gerät (und, wie hier zu sehen ist, Worte dafür hat), gehört in die Reihe der unvergessen menschlichsten Romanfiguren der vergangenen, inzwischen immerhin sechs Jahre. Sie demonstriert nicht nur (erinnert daran), dass ein Mensch sich jeden anderen Menschen vorstellen kann und nicht unbedingt die Identitätspolitik, aber doch die Literatur der ideale Weg dahin ist. Die unglückliche, lebendige Natalie nimmt dem Roman auch alles Gemachte und alle Manier, unter denen Setz’ effektvolle Erzählungen manchmal leiden. Setz wurde 1982 in Graz geboren, alle vorauseilende Bewunderung für den glänzend am Vorbild geschulten Sprachsinn in der österreichischen Literatur erfüllte er von Anbeginn an – Ernst Jandl war es, der ihn nach eigenem Bekunden zur Literatur brachte, nachdem er zunächst Mathematik und Germanistik auf Lehramt studierte. Durch Computerspielen, berichtet er, habe er solche Migräne bekommen, dass er mit dem Bücherlesen angefangen habe. Wer zum divers Exzessiven neigt, wird sich auch in den Büchern von Setz wiederfinden, zuletzt in seiner intensiven Befassung mit sogenannten Plansprachen, Kunstsprachen wie Esperanto, in „Die Bienen und das Unsichtbare“ (2020). Warum dies? Das Kommunikationsbedürfnis, so Setz dazu im Interview mit dem „Standard“, sei stark, „zu kommunizieren für viele aber wegen körperlicher, psychischer, gesellschaftlicher Behinderungen sehr schwer“. Eine Plansprache könne „wie ein Befreiungszauber aus dieser Verwunschenheit“ sein. Das klingt wie eine Formel auch für die Setz-Sprache, zu der eine hinreißende, nonchalante Unverlogenheit gehört.More Related News