Brisante Post für den Zeugen
Süddeutsche Zeitung
Kurz vor einem Gerichtstermin im Cum-Ex-Skandal ließ die Privatbank Warburg ein heikles Schreiben verschicken. War das ein Einschüchterungsversuch oder einfach nur Zufall?
Am Mittwoch kehrt S. zurück auf die Bühne im Landgericht Bonn, den großen Saal 0.11, in dem Rechtsgeschichte geschrieben wird. S. ist einer der wichtigsten Belastungszeugen der Staatsanwaltschaft Köln in einem der größten je ermittelten Fälle von systematischer Steuerhinterziehung, dem Skandal um steuergetriebene Aktiengeschäfte, bekannt als Cum-Ex. Wenn S. jetzt erneut erzählt, was er über die Verwicklung der Hamburg Privatbank Warburg in den Skandal weiß und welche unrühmliche Rolle er selbst dabei spielte, dürfte es friedlich zugehen. Der Angeklagte, einst Geschäftsführer einer Warburg-Tochter, hat vorige Woche überraschend ein Geständnis abgelegt.
Am 3. Dezember 2020 war das ganz anders. S. trat damals zum zweiten Mal als Zeuge auf am Landgericht Bonn, im zweiten dort verhandelten Cum-Ex-Prozess. Auf der Anklagebank saß ein pensionierter Generalbevollmächtigter von Warburg. Was an jenem Tag direkt vor dem Auftritt von S. geschah, war einer der ungewöhnlichsten Vorgänge im Cum-Ex-Steuerskandal und war bislang nicht öffentlich bekannt. Unmittelbar vor der Aussage des Belastungszeugen S. hatte einer von dessen beiden Anwälten Post erhalten. Zwei Seiten nur, aber von großer Brisanz: S. drohte eine Warburg-Klage in Millionenhöhe.
Wollte man der Privatbank Böses unterstellen, dann ließe sich das als Versuch der Einflussnahme oder gar Einschüchterung interpretieren. Vielleicht war es aber auch nur reiner Zufall. Die kuriosesten Geschichten schreibt eben immer noch das wahre Leben. Klar war jedenfalls an jenem 3. Dezember, dass sich S. auf einen harten Tag einstellen musste. Die Verteidigung des angeklagten Ex-Generalbevollmächtigten von Warburg wehrte sich heftig gegen den Vorwurf, ihr Mandant habe vorsätzlich an steuerschädlichen Deals mitgewirkt. Die Verteidigung nahm S. ins Kreuzverhör und versuchte, seine Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen.
Der Druck war hoch. Und er war eigentlich noch viel höher: Just einen Tag vorher, am 2. Dezember, hatten Anwälte im Auftrag von Warburg ein brisantes Schreiben verschickt. Die Post ging an die beiden Verteidiger des Zeugen S., Alfred Dierlamm und Tido Park. Warburg sah sich damals mit Steuerrückforderungen der Hamburgischen Finanzverwaltung in Höhe von 157,9 Millionen Euro zuzüglich Zinsen konfrontiert. Das Landgericht Bonn hatte außerdem im ersten Cum-Ex-Prozess angeordnet, Warburg müsse 176,6 Millionen Euro an zu Unrecht vereinnahmten Steuererstattungen aus Cum-Ex-Geschäften zurückzahlen. In beiden Fällen ging es um dasselbe Geld.
Warburg versuchte nach Kräften, die Rückzahlung ans Finanzamt noch abzuwenden. Aber für den Fall, dass der Fiskus hart bleibe, bereitete die Bank Schadenersatzklagen vor. Das richtete sich auch gegen den Belastungszeugen S., dem die Bank unterstellte, für die beanstandeten Cum-Ex-Deals mitverantwortlich zu sein. Warburg ließ über eine Kanzlei den Verteidigern von S. mitteilen, es könnten finanzielle Ansprüche gegen deren Mandanten bestehen. S. möge bitte bis zum 11. Dezember 2020 erklären, dass er keine Verjährung geltend mache. Es gehe darum, "langwierige und kostspielige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden".