Für Reedereien ist die Krise ein Glücksfall
Süddeutsche Zeitung
Ausgerechnet im Pandemiejahr 2021 explodieren die Preise und Gewinne der Reedereien - nicht einmal Joe Biden kann etwas dagegen tun. Vielleicht aber schießen die Konzerne gerade auch ein Eigentor.
Mal angenommen, die Ferien stünden vor der Tür und die Menschen in Bayern kämen alle gleichzeitig auf die Idee, die freie Zeit diesmal für eine Bahnreise nach Berlin zu nutzen. Bahnhöfe und Züge wären hoffnungslos überfüllt, der Fahrplan geriete durcheinander und vor dem Berliner Südkreuz stünden die ICEs stundenlang Schlange, weil die Gleise in Richtung Innenstadt verstopft wären. Und als wäre das nicht Ärger genug, stiegen plötzlich auch noch die Ticketpreise auf das Zehnfache, weil die Deutsche Bahn die Gelegenheit nutzte, um einmal richtig Kasse zu machen.
Absurder Gedanke? Keineswegs. Vielmehr entspricht das Szenario ziemlich genau der Lage, mit der es die Beteiligten im globalen Frachtverkehr derzeit zu tun haben. Weil vor allem Europäer und Amerikaner ihr Geld seit fast zwei Jahren nur noch sehr eingeschränkt im Restaurant, beim Masseur oder im Urlaub ausgeben können, bestellen sie Autos und Küchen, Rasenmäher und Spielkonsolen, die ganz oder teilweise in Asien hergestellt und von dort aus in die Welt verschifft werden.
Hauptprofiteure sind die großen Reedereien: Sie schicken täglich so viele ihrer riesigen Frachter auf die Reise, dass die Schiffe manchmal wochenlang an den Küsten vor Anker liegen, weil die Corona-geplagten Hafenarbeiter und Lkw-Fahrer beim Be- und Entladen, beim An- und Abtransport der Waren einfach nicht nachkommen. Das Ergebnis sind Wartezeiten, Produktionsausfälle - und massive Preiserhöhungen: Kostete es vor zwei Jahren noch weniger als 2000 Dollar, einen 13-Meter-Container von Shanghai nach Los Angeles zu verschicken, waren es zuletzt 14 000, zu Spitzenzeiten gar 20 000 Dollar.
Parallel zu den Preisen explodieren die Gewinne einer Branche, die in der Vergangenheit häufig mit Kleckererträgen oder gar roten Zahlen zu kämpfen hatte. Schätzungen zufolge spülte ausgerechnet das Pandemiejahr 2021 den Reedereien zusammen umgerechnet rund 130 Milliarden Euro in die Kassen, neun Mal so viel wie 2020. Der Hamburger Hapag-Lloyd-Konzern etwa, die fünftgrößte Reederei der Welt, versiebenfachten ihr Betriebsergebnis auf sagenhafte 9,4 Milliarden Euro - und das bei einem Konzernumsatz von gerade einmal gut 22 Milliarden Euro. Die dänische Møller-Mærsk-Gruppe, hinter der Mediterranean Shipping Co. (MSC) die Nummer zwei der Branche, verdiente in zwölf Monaten so viel Geld wie in den neun vorangegangenen Jahren zusammen.
Ein Teil des Segens wird als Dividende an die glücklichen Aktionäre fließen, zudem investieren die Reedereien in einem Ausmaß wie seit langem nicht mehr. Allein Hapag-Lloyd hat zwölf neue Riesen-Schiffe bestellt, die mehr als 23 000 Standardcontainer transportieren können, dazu zehn kleinere mit einer Kapazität zwischen 10 000 und 12 000 Stahlboxen. Die Auftragsbücher der Werften in China und Südkorea sind voll, Hunderte Frachter sollen in den kommenden Jahren ausgeliefert werden. Darüber hinaus beteiligen sich die Transportkonzerne an Hafenterminals, manche gehen gar noch einen Schritt weiter und engagieren sich auch im Luftfrachtgeschäft. Marktführer MSC etwa will gemeinsam mit der Lufthansa bei der italienischen Fluggesellschaft ITA einsteigen.