Ukraine-Krieg: Putins Spiel mit der Bombe weckt Ängste
Frankfurter Rundschau
Die erstaunlich verlässliche Sicherheit des Kalten Krieges ist mit dem Ukraine-Krieg zerstört. Was bedeutet das für unseren Umgang mit Ängsten?
Als Janis Joplin bei ihrem Woodstock-Auftritt 1969 derart alkoholisiert vors Mikrofon trat, dass ihre Plattenfirma anschließend sogar die Freigabe einiger Aufnahmen für die filmische Dokumentation des legendären Festivals verweigern wollte, war es ihr doch gelungen, das Generationsereignis mit einem einzigen Satz auf den Punkt zu bringen. „Früher waren wir nur wenige“, sagte sie verblüfft beim Anblick der Menge, „jetzt gibt es Massen und Massen und Massen von uns.“
Das Erstaunen über die große Zahl derer, die sich kurz zuvor als gleichaltrige Nischenexistenzen wahrgenommen hatten, veränderte vieles. Die zeitgenössischen Formen der Politisierung mochten sehr unterschiedlich verlaufen sein, nach Woodstock aber wurden sie als gebündelte Kraft wahrgenommen. Das unter enorme Phonstärke gesetzte Massenerlebnis wirkte sich auch auf die Vorstellung aus, gemeinsam etwas erreichen zu können. Anders gesagt: Die an das Woodstock-Gefühl anknüpfende Friedensbewegung der 80er Jahre war in Ost und West auch das Phänomen einer Popkultur, die ein starkes Gemeinschaftserlebnis auf die Straße brachte.
Wie steht es angesichts der Gefahr einer nuklearen Katastrophe, die vom Ukraine-Krieg ausgeht, heute um den Haushalt unserer Gefühle? Wie weit trägt die Empathie, der sich ein fühlender Mensch angesichts des Leids der Ukrainerinnen und Ukrainer nicht zu entziehen vermag? Was daran speist sich aus dem Schuldgefühl, gerade als Deutscher? Und wie ist es um unsere Ängste bestellt, die Wladimir Putin auf perfide Weise strategisch ausgespielt hat? Zum besseren Verständnis hilft vielleicht eine kurze Geschichte der Angst der mittleren Nachkriegsjahre.
Als ich Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre zahlreiche politische Demonstrationen bevölkern half – für den Frieden, gegen Atomkraftwerke und bald auch aus Solidarität mit den West-Berliner Hausbesetzungen –, schien mich vor allem das Erleben in der Masse zu beflügeln, das auch Janis Joplin vernommen hatte. Zu den vielen zu gehören, regte an, verband, schweißte zusammen. Aber es machte nicht blind. Jedenfalls habe ich mich für keins der zu unterstützenden Anliegen stärker engagiert. Meine Sympathie gehörte der grünen Bewegung, aber anschließen wollte ich mich ihr nicht. Ich betrachtete mich als Teil der Friedensbewegung, aber zu deren Diskussionszirkeln gehörte ich nie.
Mit großer Bewunderung hatte ich an der FU Berlin zur Kenntnis genommen, wie der betagte Publizist Fritz Eberhardt, einer der fast ausschließlich männlichen Autoren des Grundgesetzes, mit einer Matratze unterm Arm zumindest symbolisch in ein besetztes Haus einzog. Ich indes wahrte Distanz zu der Bewegung, die sich in Teilen rasch radikalisierte.