Tränen im Tal, Flüche im Forst
Süddeutsche Zeitung
Schon wieder trennt nur ein Zucken zwischen einer Medaille und Nichts: Kira Weidle muss bei ihrem vierten Platz in der Olympia-Abfahrt einsehen, welche Fertigkeiten ihr noch im Vergleich mit den Besten fehlen.
Wenn es im olympischen Skigebiet von Yanqing schon eher selten schneit: Die Vegetation ist doch ganz passabel. Man erahnt schon auf den TV-Bildern, dass die Pisten inmitten eines Naturreservats liegen, dessen Grenzen die Behörden vor ein paar Jahren mal eben neu ausflaggten, um in dieses Gebiet besagte Olympiastrecken zu pflanzen.
Jürgen Graller, der Cheftrainer der deutschen Skirennfahrerinnen, konnte sich also zumindest nicht über mangelnde Auswahl beklagen, als am Dienstag die Frustbewältigung bevorstand: Graller nimmt ja gerne mal einen Umweg durch ein Waldstück, wenn sich der Ausgang eines Alpinrennens nicht ganz mit seinen Hoffnungen deckt. "Man überlegt lieber zweimal, geht in den Wald und schreit einen Baum an", hat er einmal gesagt, "und dann läuft das schon wieder."
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Am Dienstag war es also wohl wieder so weit: Donnernde Flüche im lichten Tannenhain von Yanqing, in jedem Fall Tränen im Ziel, nachdem Kira Weidle dort als Vierte eingetroffen war. Schon wieder Platz vier - in der Vorwoche war für Lena Dürr das gleiche Resultat übriggeblieben, "mit den besten Slalom ihres Lebens", wie der deutsche Alpindirektor Wolfgang Maier später sagte. Auch deshalb, sagte Weidle am Dienstag, sei "ein Stück von mir für die Lena mitgefahren".
Doch die emotionale Anschubhilfe reichte auch nicht, um jene 14 Hundertstelsekunden zu tilgen, die Weidle vom Podest trennten, nach eineinhalb Minuten Fahrzeit. "Einfach unglaublich", befand die 25-Jährige, dampfend vor Wut. Da half nur ein weiterer Griff in den Grallerschen Werkzeugkasten der Frusteindämmung. "Vielleicht", sagte Weidle, "muss der Berg heute mal einen Schrei aushalten."