Soziologe Armin Nassehi: „Wir sind ja nicht gerade eine wissensgetriebene Gesellschaft“
Frankfurter Rundschau
Der Soziologe Armin Nassehi über Expertentum, Gewohnheit und ein Freiheitsverständnis, das darin besteht, auf keinen anderen Rücksicht nehmen zu wollen.
Herr Nassehi, Ihr Buch heißt „Unbehagen“. Warum trifft es gerade dieser Begriff, der von einem berühmten Psychoanalytiker stammt?
Ich lehne mich mit dem Buchtitel an den Aufsatz von Freud an, „Das Unbehagen in der Kultur“. Ich finde, dass man von der modernen Gesellschaftlichkeit niemals sagen kann, dass alles wie geschmiert laufen würde, also dass alle Systeme einwandfrei arbeiten. Das gibt es eigentlich nicht. Und das produziert ein Unbehagen.
Wie spiegelt sich dieses Unbehagen in unserem Lebensalltag wider?
Was wir erleben, ist die große Diskrepanz zwischen dem Reichtum einer Gesellschaft, in der trotzdem Armut vorkommt. Oder die technologische Perfektion, die wir haben, und dennoch gibt es Unfälle und Verkehrstote – oder das unglaublich große Wissen über den Klimawandel, und trotzdem gelingt es uns nicht, aus bestimmten Technologien auszusteigen, was ja nicht heißen muss, dass wir dann auf den Bäumen leben müssen. Wir sind ökonomisch unglaublich potent, glauben aber, dass wir an bestimmten Sachen festhalten müssen. Warum sind wir aber so potent? Weil man Dinge verändern kann. Die Wahrnehmung von Unbehagen paart sich mit sehr potenten Möglichkeiten.
Sie erklären in Ihrem Buch: Nie konnte man mehr als heute tun, nie war es aussichtsloser als heute. Wie entkommen wir diesem Dilemma?