Mehr Lebensqualität bei fortgeschrittenem Lungenkrebs
Frankfurter Rundschau
Sotorasib hemmt eine häufige Mutationen bei Tumorerkrankungen. Das größte Potenzial des zielgericheten Mittels könnte aber in der Kombination mit anderen Medikamenten liegen
Ausgangspunkt von Krebs sind immer Mutationen der Erbsubstanz. Nun kommt es in Zellen täglich zu genetischen Veränderungen. Oft bewirken sie gar nichts. Manchmal jedoch setzen sie eine Tumorbildung in Gang. Zu den häufigsten Mutationen, die zu Krebs führen können, gehören solche an Genen, die RAS-Proteine kodieren. Diese Eiweiße sind an der Übertragung von Wachstumssignalen in den Zellkern beteiligt und spielen eine wichtige Rolle bei der Kontrolle des Überlebens und der Vermehrung der meisten Zellen. Bleibt der nötige Bremsvorgang von RAS-Proteinen durch eine Erbgutveränderung weg, so wird das Gen zu einem Krebstreiber, einem Onkogen.
Besonders oft davon betroffen ist das Kirsten-Ras-Protein (KRAS), bei fast einem Drittel aller Krebserkrankungen ist das dafür zuständige Gen verändert. Eine dieser Mutationen trägt den Namen KRAS p.G12C. Sie entsteht durch Schäden an der DNA, die durch das Inhalieren von Schadstoffen ausgelöst werden, und tritt vor allem beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen auf, der häufigsten Form von Lungenkrebs und hier insbesondere bei Tumoren des Drüsengewebes, sogenannten Adenokarzinomen. Auch bei Dickdarm- und Bauchspeicheldrüsenkrebs kommt die KRAS p.G12C-Mutation gelegentlich vor, jedoch weitaus seltener.
Obwohl man die Rolle von KRAS-Mutationen bei Krebserkrankungen seit mehr als 30 Jahren kennt, war es lange Zeit nicht gelungen, einen Hemmstoff gegen diese verbreiteten Onkogene zu entwickeln. Mittlerweile ist mit Sotorasib – Handelsname Lumykras - eine solche Substanz auf dem Markt und seit Januar 2022 auch in der EU zugelassen. „Es ist das erste gegen eine KRAS-Mutation gerichtete Medikament, das es in die klinische Anwendung geschafft hat“, sagt Martin Schuler, stellvertretender Direktor des Westdeutschen Tumorzentrums der Universitätsmedizin Essen, die zusammen mit der Universitätsklinik Köln an klinischen Studien zur Erprobung des Wirkstoffs beteiligt war.
„Das Medikament hat eine Schallmauer durchbrochen“, sagt Schuler. Zugelassen ist es für Patientinnen und Patienten, die an einem metastasierten, nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom mit einer KRAS p.G12C-Mutation leiden und bei denen der Tumor trotz einer Behandlung mit der Standardtherapie – Chemo- und Immuntherapie - weiter gewachsen ist oder neue Metastasen gebildet hat.
In einer im März im Fachmagazin „Lancet“ veröffentlichten Studie zeigte Sotorasib eine „signifikante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens“ – also der Zeit, bis der Tumor wieder zu wachsen anfängt -, verglichen mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die eine Chemotherapie erhielten. Signifikant heißt in diesem Fall im Durchschnitt fünf bis sechs Monate gegenüber vier bis fünf Monaten. Das klingt zunächst nach nicht sehr viel. „Die Dauer der Wirkung, bis der Tumor Resistenzen bildet, ist begrenzt“, bestätigt Schuler. „Manche Patienten profitieren länger als ein Jahr, aber bei manchen lässt die Wirkung auch bereits nach wenigen Monaten nach.“