Lyrik von Heinrich Böll: „Ich liebe euch, ihr Abgeglittenen“
Frankfurter Rundschau
Feldversuche eines Prosaschriftstellers: Ein Band versammelt bekannte und unbekannte Lyrik Heinrich Bölls.
Mit einem Gedicht in der Unterprima ging es los. Als Schüler des Staatlichen Kaiser-Wilhelm-Gymnasiums zu Köln schrieb Heinrich Böll (1917-1985) den ersten überlieferten Text. Unter dem Titel „Mir träumte heut“ taumelt der junge Katholik, gerade 18 Jahre alt geworden, zunächst durch Donner, Dunst und Dämmer, durch Brei und Schleim und Schmutz. Doch dann schüttelt er diesen Alptraum beim Erwachen fromm und geerdet ab: „und ich neigte mich wachend dem Kreuze / und fing mein Tagwerk an.“
Fast alles, was Böll in seinen Romanen, Erzählungen, Hörspielen und Essays angesprochen hat, findet sich auch in seinen Gedichten. Mal dick aufgetragen und mal als Spurenelement. Allerdings ist von der Lyrik nicht oft die Rede, wenn es darum geht, den Literaturnobelpreisträger von 1972 zu würdigen. Nun versammelt der Band „Ein Jahr hat keine Zeit“ nicht nur sämtliche publizierten Gedichte des Autors, sondern wartet auch auf mit sechs bislang unveröffentlichten lyrischen Texten. Einige Faksimiles von Manu- und Typoskripten, teils heftig redigiert, kommen hinzu.
Böll-Biograf Jochen Schubert – der die Ausgabe gemeinsam mit René Böll und Gabriele Ewenz herausgegeben hat – betont im Nachwort, dass bereits in den Gedichten aus den 30er Jahren wesentliche Themen und Tonlagen Heinrich Bölls aufschienen. Da sei der Provokateur, der Kritiker, der Pathetiker und der radikal Gläubige zu erkennen. Und Ewenz bestätigt für die Nachkriegs-Dichtung: „So überschaubar das lyrische Werk des Autors auch ist, es bildet in komprimierter Form die wesentlichen autobiographischen und gesellschaftspolitischen Aspekte im Leben und Werk des Autors unter Berücksichtigung des historischen Kontexts ab.“