Less Angeles – Los Angeles ohne Palmen
Frankfurter Rundschau
Letters from L.A., Teil 3: Die charakteristischen Palmen müssen sterben, damit die sonnenreiche Stadt grüner werden kann.
Sieben Palmen stehen im Garten des Hauses, das sich Thomas Mann in seinem Exil im südkalifornischen Pacific Palisades bauen ließ. Es könnten bald weniger werden. Denn die Washingtonia filifera, wie die Biologie die in Südkalifornien hauptsächlich verbreitete Palmenart klassifiziert, ist akut bedroht von einem Schädling, dem Rhynchophorus palmarum, und der Pilzart Fusarium. Palmen sind ein südkalifornischer Identitätsanker, doch wollen Stadtplaner die (für diese sonnenreiche und immer heißer werdende Weltgegend ungeeignete) Spezies gar nicht retten, da sie zu viel Wasser benötigt und als Schattenspender komplett ausfällt. Sollten Baumsterben und ökologische Vernunft zusammenwirken, würde das Symbol von Los Angeles fallen, die bis zu 30 Meter hohen, schlanken Bäume, deren Palmwedel bei leichter Brise tänzeln und sich bei heftigeren Winden tief verbeugen.
Gepflanzt wurden Palmen aus dekorativen Gründen. Fotografien vom Beginn des 20. Jahrhunderts zeigen in Los Angeles kaum eine einzige, dafür unter anderem Pfefferbäume, von denen auch einer im Garten der Familie Mann zur Blütezeit emsig summende Bienen anzieht. Die Allgegenwart der Palme veranlasste den entfernten Nachbarn des Nobelpreisträgers, Bertolt Brecht, zur Verspottung seines Exilorts als „Tahiti im Großstadtformat“: Eine wasserarme Wüstengegend am Meer garnierte ihre Flachbauten mit einer Baumart, die exotisch wirken sollte. Und da Postkarten und Hollywood-Filme immer mehr Palmen ins Bild setzten (oder eine einzige als pars pro toto) und das Tropen-Image in alle Welt verbreiteten, wurden auch immer mehr angepflanzt. Nach letztem Stand sollen über 75 000 Exemplare in Los Angeles stehen.
Kulturwissenschaftler behaupten, „SoCal“ habe sich damit seinen speziellen Orientalismus geschaffen; Sozialhistoriker ergänzen, die massive Aufforstung an 150 Boulevard-Meilen sei in den 1930er Jahren vor allem ein Arbeitsbeschaffungsprogramm gewesen. Palmen wurden an Ausgänge von Bahnhöfen und Flughäfen platziert, um Neuankömmlinge gleich in die richtige Stimmung zu versetzen. Und wessen Laune hellt sich nicht wenigstens einen kurzen Moment auf, wenn man eine palmengesäumte Straße in Beverly Hills durchfährt?