Gislasons große Aufgabe
Süddeutsche Zeitung
Nach der EM muss der Bundestrainer einen Weg finden, dass die vielen jungen Spieler nicht doch wieder den alten Haudegen weichen müssen. Denn das wäre das falsche Signal.
Die Handball-Nationalmannschaft hat das Halbfinale verpasst. So lautet das nüchterne EM-Resümee aus deutscher Sicht. Ob nach dem letzten Spiel gegen Russland am Dienstag der siebte oder zwölfte Platz im Endklassement bleibt, ist fast schon egal. Wichtig ist einzig der letzte Eindruck, erinnert Paul Drux, einer der verbliebenen erfahrenen Akteure im Kader. Drux weiß, wie eine Pleite beim abschließenden Auftritt nachwirken kann.
Doch diese Gefahr besteht kaum, denn trotz der drei Hauptrunden-Niederlagen gegen Spanien, Norwegen und Schweden waren Einsatz, Kampfgeist und Leidenschaft dieser Mannschaft tadellos. Wenn man überhaupt von "dieser Mannschaft" sprechen kann. Schließlich musste Trainer Alfred Gislason seine Auswahl ständig umbauen. Ein Schlüsselspieler nach dem anderen infizierte sich, vor dem letzten Vorrundenspiel gegen die hoch eingeschätzten Polen war die erste Sechs fast komplett in Quarantäne.
Kuriose Ergebnisse, mehr als 100 Infizierte, vorzeitige Rückreise der Spieler per Krankentransport: Die Handball-Europameisterschaft verkommt zu einem unwürdigen Ereignis. Von Carsten Scheele und Ralf Tögel
Fortan wurden Teamsitzungen virtuell abgehalten, trainiert wurde erst gar nicht mehr, dann freiwillig, die Spieler trafen sich kurz vor der Abfahrt zur Halle, bestiegen ungeduscht den Bus zurück ins Hotel und begaben sich umgehend wieder auf die Einzelzimmer in Isolation.
Dass Debütanten wie Daniel Rebmann oder Lukas Zerbe erzählen, sie hätten ein paar der isolierten Teamkollegen noch überhaupt nicht kennengelernt, ist die Pointe einer Handball-EM, die keiner mehr ernst nehmen kann. Man muss sich schon fragen, ob die deutsche Mannschaft angesichts ihres Pechs mit 15 infizierten Spielern mehr zu bedauern ist als der spätere Europameister. Ein derart fragwürdiger Titel wurde bislang noch nie vergeben.