Gerulf Pannach „Als ich wie ein Vogel war“: Den Hintern quer zur Fahne
Frankfurter Rundschau
Erweiterte Sammlung des Rock-Wunderwerkers Gerulf Pannach
Alles beginnt in Leipzig mit der Klaus Renft Combo, kann dort aber nicht enden. Der Wortwunderwerker Gerulf Pannach (1948-1998) hat mit seinen Texten für diese Zonen-Zocker & Rocker verhindert, sich wie andere anzupassen. Erfolgstitel wie „Ketten werden knapper“, „Apfeltraum“ oder „Als ich wie ein Vogel war“ genügten bald nicht mehr. Weitere Songs, längst Teil des Sagenschatzes im sächsischen Rockband-Gürtel, „standen unter Quarantäne, so ansteckend waren die“ (Kuno Kunert). Auf Wirkung zu verzichten, das wäre ja der Tod für diese Laokoon-Gruppe von Rockmusikern. Man hatte sich über Pannachs Radikalität zerstritten, aber als der Rock-Poet unter Auftrittsverbot gelangt, nimmt Renft ihn wieder auf und wird selbst verboten.
Die „Rockballade vom kleinen Otto“ ist kein Klingelstreich: „Manchmal sagte Otto: / Leben ist wie Lotto / doch die Kreuze macht ein Funktionär! ... Als er mal ein Foto / Sah vom großen Otto ... Schrieb er dem Namensvetter ... Hol mich nach Norden / Hol mich oder ich flieh!“
Auf das Tabu Westflucht folgen Fragen zur unantastbaren „Fahne“, der Wehrpflicht. Pannach war ihr an der Berliner Mauer ausgesetzt, nicht ohne Wolf Biermann in Uniform aufzusuchen. „Du, woran glaubt der / Der zur Fahne geht / Ruhm der Fahne schwört / Dabei stramm steht? // Du, woran glaubt der / Der nicht anlegt / Der als Fahne vor sich her / Einen Spaten trägt. // Du, woran glaubt der / Der in’n Kahn geht / Und den Hintern quer / Zur Fahne dreht?“ Vertont von Kuno Kunert, sind diese „Glaubensfragen“, der Dreisatz von Wehrdienst, Bausoldat und Verweigerung, ein Tabubruch mit einigen Umdrehungen. So weit hat sich keine ostdeutsche Rockband vorgewagt. Letzter Höhepunkt im Ost-Berliner Metropol-Theater: „Ja, sing den Prager Frühling! – / Nie sah ich Menschen so befreit / Aufjauchzen, jubeln, johlen“. Endgültiges Auftrittsverbot von höchster Stelle.