Die Fotografinnen Nini & Carry Hess: Aus einer neuen, verlorenen Welt
Frankfurter Rundschau
Eine Ausstellung in Frankfurt rekonstruiert das wichtige fotografische Werk von Nini und Carry Hess.
Es gab zunächst noch viele, die sich erinnerten. Zitiert wird in der Ausstellung (und im blendenden Katalog) etwa der 1900 in Frankfurt geborene Theatermann Friedrich Schramm. Anfang der 70er erzählte er in einem Vortrag vom künstlerischen und intellektuellen Salon der Schwestern Hess, „bei denen sich, was in Frankfurt etwas auf sich hielt, photographieren ließ. Nini (...), sentimental, immer eine Spur von Trauer um sich verbreitend, unglücklich verliebt in Carl Ebert, den ersten Helden des Schauspielhauses. Die jüngere Carry dagegen lebensfroh und aktiv.“
An der Ausstellungswand dazu zwei schemenhafte Abbildungen. Carry auf einer Porträtmedaille von 1921, Nini auf einem Gruppenfoto aus dem Karneval, unterm tiefen Dada-Blechtopfhut ein Profil, aus dem sich wenig schließen lässt. Denn das ist der Stand der Dinge: Zwei Frankfurter Fotografinnen, die von 1913 bis 1933 lang ein überregional frequentiertes, künstlerisch anspruchsvolles, wirtschaftlich lukratives Atelier betrieben – unter dem Kunst und Handwerk modern verbindenden Namen „Werkstätte für Lichtbildkunst“ –, von denen nun nicht ein einziges Porträtbild erhalten ist. Vielleicht kann man daraus auf ihr Selbstverständnis als Künstlerinnen schließen, und dabei muss es kein Zeichen von Bescheidenheit sein. Jedenfalls ist es in diesem krassen Ausmaß vor allem die Folge der konsequenten Auslöschung, der die Frauen und ihr Werk anheimgefallen sind.
Die jüngere Schwester, Carry, Cornelia, Jahrgang 1889, flieht schon 1933 nach Paris. Die Versuche, die ältere Schwester, Nini, Stefanie, geboren 1884, und die früh verwitwete Mutter nachzuholen, misslingen aber. Ninis Spur verliert sich 1942/43 in Auschwitz, die Mutter wird in Theresienstadt ermordet. Carry, nach Kriegsausbruch lange im berüchtigten Lager Gurs interniert, stirbt krank und mittellos 1957 (dem Jahr, in dem ihr endlich eine „Wiedergutmachung“ zugesprochen wird). Das Atelier im chicen neuen Sigmund-Strauss-Haus am Rathenauplatz ist in der Reichspogromnacht völlig zerstört worden, kein Archiv mehr und auch kein Nachlass.
In der FR vom 9. März konnten Sie schon einiges darüber lesen, aber nur, weil sich Jahrzehnte später doch noch Menschen dahinterklemmten. Der Fotohistoriker Eckhardt Köhn war das, der gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Susanne Wartenberg für das Museum Giersch der Goethe-Universität Ausstellung und Katalog zusammengestellt hat. 120 Fotografien – aus kleinen Konvoluten und Einzelleihstücken nach und nach zusammengetragen (kein einziges Originalnegativ liegt Köhn vor) – können gezeigt und eingeordnet werden. Im anderthalb Jahre lang (vor allem hintergrundtechnisch) sanierten Haus, das jetzt mit der griffigen Abkürzung MUUG auftritt, tut sich eine Welt auf. Ihre Schöpferinnen vernichtet, die Bilder brillant, keck, lebendig.
Nini & Carry Hess, immer als gemeinsame Marke (wie Karl + Monika Forster heute), waren äußerst erfolgreiche Theaterfotografinnen in einer seinerzeit weithin berühmten Theaterstadt. Der Frankfurter Expressionismus fand in den Bildern der Schwestern seinen perfekten Ausdruck. Das zeigt sich in der frühen, noch tastend wirkenden Szenenfotografie, in den vorzüglichen Tanzbildern, vor allem aber in den Rollenporträts. Unter den Hess’schen Händen entwickeln sie sich (wie das Theater selbst ja auch) vom händeringenden Pathos des 19. Jahrhunderts hin zu einer heruntergekühlten, aber da umso wirkungsvoller glühenden Intensität. Der schon erwähnte Frankfurter Starschauspieler Carl Ebert, ein tatsächlich hübscher Mensch, schlägt als Leicester (aus Schillers „Maria Stuart“) die Augen nieder. Sein dezenter Schurkenblick folgt wie von ungefähr (aber eben zielgerichtet) einem Stab, der das Bild diagonal in zwei Teile sägt. Leicesters intrigantem Kalkül entspricht das künstlerische der Schwestern.