
Der „Brücke“-Coup
Die Welt
Jahrzehntelang wurde die Sammlung von Hermann Gerlinger in verschiedenen deutschen Museen gezeigt – und gefeiert. Doch nie fand sie ein dauerhaftes Zuhause. Wie es zu der Versteigerung einer der wichtigsten Sammlungen an Werken von Ernst Ludwig Kirchner kommen konnte.
Liebhaber hat er immer gehabt. Aber seit einiger Zeit ist ihm mehr und mehr Publikum zugewachsen. Und mit einem Mal steht er ganz im Zentrum, der Dresdner Frühexpressionismus, der unter dem Namen „Brücke“ Museumsgeschichte geworden ist. Große Ausstellungen, immer neue Publikationen, rekordverdächtige Zuschläge bei Auktionen. Vielleicht entdeckt man erst heute, wie zeitgenössisch performativ sich die Kunst der zuckenden Linien und aufflammenden Farben ausnimmt, mit denen die hochgemuten Kunststudenten Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl (sowie später Max Pechstein) im fernen Jahr 1905 ihre Karrieren begonnen hatten.
So passt es ganz in die Konjunktur, wenn das angebrochene Kunstmarktjahr gleich einmal einen seiner kostbarsten Brücke-Trümpfe ausspielt. Der Unternehmer Hermann Gerlinger hat seine einzigartige Kollektion mit Brücke-Kunst und Brücke-Archivalien dem Auktionshaus Ketterer in München anvertraut, wo sie „innerhalb von etwa vier Jahren schrittweise veräußert“ werden soll (ab Juni 2022). Eine Nachricht, die Sammler animiert und die Wissenschaft leise betrübt. Denn die Sammlung Gerlinger hat weltweit einen singulären Rang und ist, was Umfang und Geschlossenheit angeht, allenfalls mit den Beständen des Berliner Brücke-Museums vergleichbar.
