Corona-Pandemie: Raus aus der Krise. Aber wie?
Frankfurter Rundschau
Unser Krisenbewusstsein trägt paradoxerweise dazu bei, dass wir in der Pandemie gefangen bleiben. Warum es jetzt darauf ankommt, neue Routinen zu entwickeln.
Wir müssen über die Straßenverkehrsordnung reden. Für Verkehrsteilnehmer, also fast alle, hält sie zahlreiche Sanktionen bereit. Wer zu schnell fährt, muss mit Geldbußen rechnen, bei der Überschreitung festgelegter Grenzen auch mit dem Entzug der Fahrerlaubnis. Falsch parken, in der zweiten Reihe stehen, bei Rot über die Ampel gehen – Sie wissen schon. Wir neigen in diesen Fällen nicht dazu, eine gravierende Einschränkung der bürgerlichen Freiheit zu beklagen. Verkehrsteilnehmer kennen die Regeln – und fahren fort, so oder so.
Nicht jeder, der zu schnell fährt, wird entsprechend bestraft, es mangelt an Kontrollen. Das Regelwerk ist nicht auf Sanktionierung ausgelegt, sondern aufs Funktionieren. Es basiert auf der Befolgung durch viele, sanktioniert einige und hält all jene aus, die durch die Maschen schlüpfen. Man nennt es Alltag. Der Straßenverkehr fließt, gerade weil nicht ständig alle kontrolliert werden. Wer erwischt wird, bleibt trotzdem Verkehrsteilnehmerin und Verkehrsteilnehmer, und wer entwischt, darf sich nur für den Moment glücklich schätzen. Verkehr basiert auf der Ausblendung der Annahme, dass es zum Unfall oder Stillstand kommen kann. Es geht um die fortwährende Simulation eines Gelingens. Die Regeln bilden eine Grundlage, auf der die Routinen ablaufen können, durch die man von hier nach da gelangt.
Der Straßenverkehr ist eine gebräuchliche Metapher, um eine gesellschaftliche Realität zu beschreiben, die abläuft, ohne dass sie an jeder Weggabelung infrage gestellt wird. Sie ahnen, dass es im weiteren Verlauf dieses Textes um die Corona-Notlage geht. In dieser sind wir zuletzt von Kreuzung zu Kreuzung gestolpert, eine unübersichtlicher als die andere. Der Verkehrsfluss wurde dort weder durch Ampeln reguliert noch durch die Faustregel rechts vor links. In der Pandemie sind die Routinen abhandengekommen, gerade auch in der politischen Entscheidungsfindung.