Als die Soldaten nach Hause gingen
Frankfurter Rundschau
In seinem Bildband „Kulturerbe“ zeigt Stefan Neubauer den nostalgischen Charme verfallener Kunst in den verlassenen sowjetischen Militärbasen Ostdeutschlands. Von Sandra Danicke
Mit sowjetischer Agitationskunst tut man sich hierzulande schwer. Das ist nachvollziehbar, propagierte sie doch ein System, das wir als diktatorisch und brutal ablehnen. Andererseits stammt die Bildsprache aus einer Zeit, in der russische Künstlerinnen und Künstler nicht nur die herrschende Partei bauchpinseln wollten, sondern zugleich Größeres im Sinn hatten: eine gerechte Gesellschaft. Die hehren Wünsche sind bekanntermaßen nicht in Erfüllung gegangen.
Auch die Bilder sind inzwischen verwittert. Sie stammen aus Ostdeutschland, es handelt sich um Kunst am Bau in ehemaligen sowjetischen Militärbasen. Mit rund 500 000 Soldaten positionierte sich die Rote Armee 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone. Sie bezogen in der Regel bereits existierende Gebäude: ehemalige preußische und nationalsozialistische Militärstandorte, Schulen oder Krankenhäuser wie die Heilstätten in Beelitz, die jahrzehntelang als größtes Militärkrankenhaus der sowjetischen/russischen Armee diente. In all diesen Bauten wurden die alten Herrschaftssymbole entfernt und die Wände mit neuen Malereien, Mosaiken und Reliefs dekoriert.
Die Streitkräfte blieben lange. Erst 1994 verließen die letzten russischen Soldaten Deutschland. Was sie zurückließen, sind Orte, an denen sich keiner mehr aufhält, an die kaum einer mehr denkt. Außer Stefan Neubauer.
In einem Zeitraum von mehr als zehn Jahren bereiste der Berliner Fotograf, Jahrgang 1971, mit einer Panorama-, einer Platten-, einer Mittelformat-, einer Kleinbildkamera und diversen Digitalkameras im Gepäck die Standorte, an denen sich einst das sowjetische Militär aufhielt und die zu betreten für Unbefugte lange Zeit streng verboten war.
Auf die Idee kam er, nachdem er ein Wandbild in Jüterbog gesehen hatte. „Seitdem war ich wie von einem Virus infiziert, möglichst viele von diesen ,Kunstwerken‘ bei den vielen über ganz Ostdeutschland verteilten Einrichtungen aufzustöbern, zu dokumentieren und zumindest fotografisch zu konservieren“, schreibt Neubauer im Vorwort seines dicken Bildbandes, in dem ganze 65 Standorte vertreten sind. „Meine Suche nach diesen Zeugnissen aus dem Kalten Krieg war eine Mischung aus wilder Abenteuerlust, vorsichtig-diskretem Voyeurismus und hoffnungsfroher Schatzsuche.“