
„Die Wannseekonferenz“: Die „Endlösung“ war längst in vollem Gang
Frankfurter Rundschau
1942 trafen sich 15 Nationalsozialisten, um den Massenmord an den europäischen Juden zu organisieren. Die Produktion des ZDF-Films ist von dem Historiker Peter Klein auf den aktuellen Forschungsstand gebracht worden. Von Christina Bylow
Kein grölendes Gelächter, keine schalen Witze, keine Anzeichen von Skrupeln, wo es keine Skrupel gab. Es ist ein Film von äußerster Nüchternheit und Reduktion. Regisseur Matti Geschonneck inszenierte ihn nach dem Prinzip der Einheit von Ort und Zeit, ohne Musik, ohne dramatische Zuspitzung. Etwa neunzig Minuten soll die Zusammenkunft gedauert haben, die unter der Bezeichnung Wannseekonferenz in die Geschichte einging.
Am 20. Januar 1942 fand sie in einer als Gästehaus der SS genutzten Villa am Großen Wannsee statt. Das 1947 aufgefundene, 15 Seiten umfassende Protokoll dieser „Besprechung mit anschließendem Frühstück“, wie es in der Einladung hieß, gilt als eines der wichtigsten Dokumente des Holocaust. Peter Klein kann es nahezu auswendig. Seit dreißig Jahren beschäftigt sich der Historiker mit diesem Treffen. Als Fachberater hat er die Produktion des Films „Die Wannseekonferenz“ begleitet.
Wir treffen uns am Touro College Berlin, wo Peter Klein seit 2013 als Professor für Holocaust Studies lehrt. Der Campus im Berliner Westend, am Hochufer über dem Stößensee, ist ein exemplarischer Ort. Das heutige Seminargebäude mit Flachdach und Ziegelfassade wurde von Bruno Paul im Stil der Neuen Sachlichkeit entworfen. Kaum drei Jahre lang lebten die Eigentümer Paul und Minnie Lindemann mit ihren beiden Kindern in diesem Haus. Im Jahr 1934 wird die jüdische Familie zum Verkauf weit unter Wert gezwungen, der Vater, ein Kaufmann, Vorstandsmitglied der Karstadt AG, wird entlassen. Die Familie emigriert über Italien in die USA. Statt ihrer wohnt nun der Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten, Hanns Kerrl, in dem Anwesen mit der Adresse Am Rupenhorn 5. Derzeit studieren an der privaten, staatlich anerkannten Hochschule etwa 200 junge Leute Business Management, Psychologie oder Holocaust Communication and Tolerance. Am rechten Türrahmen jedes Raums ist eine Mesusa angebracht, das Touro College ist eine jüdische Institution.
Peter Klein wird am Nachmittag noch eine Vorlesung halten. Es geht, so Klein, um den Angriff des Deutschen Reichs auf die Sowjetunion als rassenideologischen Vernichtungskrieg. Warum beschäftigt sich Klein seit drei Jahrzehnten mit den Tätern? Es habe, erzählt er, mit seiner akademischen Ausbildung zu tun. Während seines Geschichtsstudiums an der TU Berlin, am Zentrum für Antisemitismusforschung, besuchte er ein Seminar des Historikers und Politologen Wolfgang Scheffler, der in fast allen größeren Prozessen gegen NS-Gewaltverbrecher vor deutschen Gerichten als Sachverständiger hinzugezogen wurde. Scheffler ermöglichte dem jungen Studenten aus Nürnberg Einblick in sonst nur schwer zugängliche Quellen.
„Ich konnte Prozessakten lesen, und über diese Lektüre kommt man den Verhaltensstrukturen der Angeklagten oder der Beschuldigten schon sehr nah“, sagt Klein: „Dabei stößt man auf die unterschiedlichsten Verhaltensweisen. Auf angebliche Gedächtnislücken, auf den sogenannten Verbotsirrtum, etwa, wenn einer sagt: ,Wie, Juden durfte man nicht erschießen? Das wusste ich gar nicht. Es war doch Nationalsozialismus.‘ Ich konnte aus dem Rohmaterial schöpfen, immer mit dem Versuch, mehr zu verstehen.“
