Meat Loaf: Es ging um Liebe, es klang verzweifelt
Frankfurter Rundschau
Ein großer Musiker ist tot. Über eine Kindheit mit seinem grandiosen Album „Bat out of Hell“. Von Sandra Danicke
Meat Loaf kam über mich wie eine Naturgewalt. Was umso schwerer wiegt, als ich damals erst acht Jahre alt war. Mein Vater hatte eine Schallplatte mit nach Hause gebracht, sie war glühend orange, und im Zentrum befand sich ein Motorrad mit einem muskulösen Langhaarigen drauf, der den Oberkörper dramatisch zurückwarf. Das Gefährt schien direkt aus einem Grab emporzuschießen. Die Platte hieß „Bat out of Hell“. Das, was darauf zu hören war und seit jenem Tag bei uns rauf und runter lief - meiner Erinnerung nach ging das jahrelang so -, hatte mit dem, was ich bis dahin gehört hatte („In the Summertime“ von Mungo Jerry, „Love Hurts“ von Jim Capaldi) nicht das Geringste zu tun.
Hier wurde etwas mit einer Dringlichkeit vorgetragen, die zum Zuhören regelrecht nötigte. Aus dem Gesang sprach eine drängende, ungezügelte Energie, die offenbar unbedingt raus musste. Hier war jemand, der der Welt etwas mitteilen musste, ganz unbedingt. Es ging um Liebe, es klang verzweifelt. Eine Frau wurde angesungen, angefleht, sie sang mit einer gewissen Bestimmtheit zurück. Soviel verstand ich auch ohne Englischkenntnisse. Bezwingender als die Stimme war aber noch die Musik in ihrer volltönenden Opulenz.
Dass „Bat out of Hell“ wie ein Musical aufgebaut ist, konnte ich damals nicht wissen. Kindertheater ging schließlich ganz anders. Ich bemerkte jedoch, dass hier nicht - wie sonst üblich - ein Lied an das andere gereiht war, sondern eines auf das andere reagierte, dass alles mit allem zusammenhing. Die Songs waren wie ein Tsunami: Ruhige Passagen ballten sich zu etwas Drohendem, schoben sich übereinander, explodierten irgendwann in einem bizarren, hochemotionalen Finale. Es war unglaublich, ich tanzte im Schlafanzug, warf mich in Posen der Ekstase und war ergriffen wie noch nie.
Inzwischen ist es über 40 Jahre her, dass ich die Platte zuletzt gehört habe (obwohl sie längst in meinen Besitz übergegangen ist), aber ich weiß all das noch ganz genau, es hat sich in mein Gehirn gebrannt, und wenn zufällig eines der Lieder irgendwo läuft, bin ich noch heute gefesselt (was ich über Jim Capaldi und Mungo Jerry nicht sagen kann). Ich hasse Musicals, aber ich bin fest davon überzeugt, dass mich dieses Album auf eine seltsame Weise geprägt hat.
Dass der Sänger keineswegs dem muskulösen Kerl auf dem Cover ähnelte, habe ich damals auch ohne Internet erfahren. Und ich wusste auch früh, was Meat Loaf bedeutet: Hackbraten. Marvin Lee Aday, so der Geburtsname des Musikers, war wegen seines Übergewichts in der Schule so genannt worden, hieß es. Mir schien es unmöglich, dass er diese Art des Gesangs auch ohne seine Körperfülle hinbekommen hätte. Und ich fand es außerordentlich souverän, dass Meat Loaf diese Spottbezeichnung zu seinem Markenzeichen machte.