„The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer: Die Banalität des Schönen
Frankfurter Rundschau
„The Zone of Interest“, Jonathan Glazers Auschwitz-Drama, ist das erste Meisterwerk des Wettbewerbs bei den Filmfestspielen in Cannes, dazu Großes von Martin Scorsese und Todd Haynes.
Der Buchhandel, der mehr noch als die Welt des Kinos für alle erdenklichen Genres und Subgenres eigene Schubladen bereitstellt, nennt es „Holocaust Fiction“: Wer diese schaurige Wortverbindung in die Suchmaske eines großen Online-Händlers eingibt, kann dann als nächstes die passende Alters-Zielgruppe wählen. Kollisionen mit Geschmacksgrenzen scheinen gerade bei unterhaltenden Stoffen unvermeidlich, wenn sie vor dem Hintergrund des Menschheitsverbrechens angesiedelt werden.
Dem Auschwitz-Roman des nun verstorbenen Martin Amis (siehe gegenüberliegende Seite) „The Zone of Interest“ von 2014 ging der Skandal schon vor dem Erscheinen seiner deutschen Ausgabe „Interessengebiet“ voraus, als der Hanser Verlag dieses Werk seines Stammautors nicht im Programm haben wollte. Bei der Kritik sorgten vor allem die satirischen Zuspitzungen der Dreiecksgeschichte um die Frau eines Lagerkommandanten und eines kulturell gebildeten Nazis isländischer Abstammung für Unmut. Eine weitere Erzählebene aus Häftlingsperspektive ließ die Kalkulation nur noch mehr hervortreten. Sollte ausgerechnet eine Verfilmung diesen Stoff noch retten können?
Tatsächlich feiert Cannes das deutschsprachige Drama des Briten Jonathan Glazer am Ende der ersten Festivalwoche wie keinen anderen Wettbewerbsfilm. Zehn Jahre nach dem betörenden Body-Horror von „Under the Skin“ kehrt der Brite mit einem abermals einzigartigen Werk zurück. Gedreht in Polen mit dem deutschen Hauptdarstellerpaar Christian Friedel und Sandra Hüller tritt er jeder Unterhaltungserwartung schon vor dem ersten Filmbild entgegen. Minuten lang bleibt die Leinwand schwarz; zugleich füllt Mica Levys beklemmende Filmmusik als Ouvertüre den Saal. In den oberen Tonwerten eine harmonische Minimal Music, in den Bässen alptraumhaftes Chaos, blendet sie langsam über in Vogelgezwitscher. Eine Familie vergnügt sich leichtbekleidet an einem idyllischen See. Auch wenn die Musik im weiteren Verlauf weitgehend verstummt, bleibt diese schwüle Kakophonie auch visuell der Ton des Films.
Schnell lernt man die Familie in ihrer bürgerlichen Villa kennen: Es sind Lagerleiter Rudolf Höss, Ehefrau Hedwig und ihre fünf Kinder. Gleich an der KZ-Mauer beginnt ihr riesiger Garten mit Gewächshaus und Planschbecken. Als „Paradies“ soll die von Hüller gespielte Herrin über ein Heer von zu Haus- und Gartendiensten verpflichteten Häftlingen ihr Anwesen auch im wirklichen Leben bezeichnet haben.
Glazer hat die fiktiven Namen aus Amis‘ Roman mit denen der historischen Figuren ersetzt, den Sex und die Figur des Nebenbuhlers gestrichen. Auch die Innensicht auf das Vernichtungslager gibt es nicht mehr. Dafür wehen grausige Geräuschfetzen immer wieder über die Mauer und vermischen sich mit dem Kreischen der spielenden Höss-Kinder.