
"Viele glauben, Russland sei demokratischer als Deutschland"
n-tv
Der Politikwissenschaftler und Journalist Jens Siegert lebt seit 1993 in Moskau. Obwohl Russland seit zwei Jahren einen blutigen Krieg in der Ukraine führt, sei in der russischen Hauptstadt davon nur wenig zu spüren, sagt er im Interview mit ntv.de. Auch die Auswirkungen der Sanktionen könne man nur sehen, wenn man aufmerksam hinschaue, so der ehemalige Leiter des Russland-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. Im Gespräch erklärt er auch, warum es so gut wie keine Proteste gegen den Krieg gibt - und wie er Russen dazu gebracht hat, auf ukrainische Soldaten Wodka zu trinken.
ntv.de: Wenn Sie heute Abend einen Spaziergang durch Moskau machen, woran erkennen Sie, dass Sie sich in der Hauptstadt eines Landes befinden, das seit zwei Jahren Krieg führt?
Jens Siegert: Das wird schwer. Zumindest in der Innenstadt ist vom Krieg praktisch nichts zu bemerken. Vor einigen Wochen habe ich in einem Fenster des Hauptquartiers der Polizei ein großes Z und ein großes V gesehen. Aber solche Zeichen sind im Stadtzentrum ausgesprochen selten. Es gibt immer wieder Plakate, auf denen Soldaten oder Soldatinnen abgebildet sind. Und da steht der Name, der Dienstgrad und dass diese Person ein Held oder eine Heldin sei. Es wird nie gesagt, weshalb und wo diese Person Held oder Heldin geworden ist und ob sie noch lebt oder nicht. Aber natürlich verstehen alle, dass das in der Ukraine gewesen sein muss. In Moskau wird über den Krieg am besten geschwiegen oder hinweggegangen, er wird möglichst nicht bemerkt.
Bekommt man die Auswirkungen der westlichen Sanktionen zu spüren?
