Unter Gämsen
Süddeutsche Zeitung
Auf Tour mit einer Rangerin: Im Naturpark Karwendel können Besucher Tierfährten lesen lernen. Eine Herausforderung.
Normalerweise würde Marina Hausberger jetzt ein wenig länger stehen bleiben und den Gästen erzählen, wie die Gämsen den Winter überleben und warum es so wichtig ist, sie nicht zu stören. Aber bei minus 15 Grad Celsius ist nicht nur das Falzthurntal am südlichen Ende des Achensees schier erstarrt, auch die zehn Gäste, die an der Schneeschuhwanderung teilnehmen und mehr über das Verhalten von Wildtieren im Winter lernen wollen, frieren bei den Erklärungen nahezu ein. Deshalb macht es die Rangerin des Naturparks Karwendel wie die Gämsen: Sie optimiert das Bewegungsverhalten. "Jetzt gehen wir einfach mal, bis wir in die Sonne kommen", sagt die 37-Jährige. Und lacht.
Was ist los in Österreich? Wir informieren Sie jeden Freitag im Newsletter - mit allen Texten der SZ zu Österreich. Gleich kostenlos anmelden.
Abgesehen von der Kälte hat Hausberger ja durchaus eine schöne Aufgabe und genügend Grund zu lachen: Als Rangerin des Naturparks Karwendel kann die begeisterte Bergsteigerin einen Teil ihrer Arbeitszeit dort verbringen, wo sie auch in der Freizeit gerne ist, nämlich in den Bergen. Sie ist zuständig dafür, Menschen wie Adelhaid Kastner-Schulz aus Heidelberg, die mit ihrem Skiclub Urlaub am Achensee macht und das Schneeschuhwandern ausprobieren möchte, die Natur näherzubringen; sie zeigt, wie man die Spuren und Zeichen der Wildtiere lesen kann und versucht, bei den Mitwanderern letztendlich Verständnis dafür zu wecken, dass Wildtiere zum Beispiel auch mal Ruhe brauchen.
Der Naturpark erstreckt sich von Innsbruck im Süden bis Hinterriß kurz vor der Grenze zu Deutschland, von Scharnitz im Westen bis zum Achensee im Osten, das sind 727 Quadratkilometer Berge, Täler, Almen, eine begehrte Erholungslandschaft. Oder, wie es Marina Hausberger ausdrückt: "Es gibt schon sehr schöne Platzerl hier." Im Sommer geht es für die Rangerin, die in Innsbruck wohnt, oft um die Pflege der Almen, um die Lenkung der Besuchermassen. Die Zahl der Gäste hat seit der Corona-Pandemie noch stärker zugenommen, das Thema ist also noch drängender geworden. Im Winter ist die Aufgabe ein wenig leichter, viele Ziele sind wegen des Schnees nicht erreichbar, und die Temperaturen tun wie an diesem Januartag das ihre, um die Leute zurück ins Warme zu locken.
Am ersten sonnigen Plätzchen legt Marina Hausberger wie versprochen einen Stopp ein. In den luftigen Kristallen des Schnees zeichnen sich zahlreiche Spuren ab. "Das war ein Hase", erläutert Hausberger, die nach einer Ausbildung zur Floristin im zweiten Bildungsweg Geografie studiert und über ein Praktikum dann ihren Weg als Rangerin gefunden hat. Sie hätte den Schneeschuhwanderern zuvor gerne auch die Morphologie des Karwendelgebirges erläutert, aber weil die Infotafel am Langlaufparkplatz Pertisau im Schatten steht, kann sie die Gäste nicht so recht für die Geschichte über den Kalkstein des Karwendels erwärmen. Tierspuren in der Sonne bekommen deutlich mehr Aufmerksamkeit. Die Rangerin erklärt anschaulich, wie der Hase diese markante Spur hinterlässt. Zuerst sieht man zwei Abdrücke hintereinander, das sind die Vorderpfoten, gefolgt von zwei parallel liegenden Abdrücken, denen der Hinterpfoten. "Der Hase überholt sich selbst", sagt Hausberger. Und in welche Richtung ist das Tier jetzt gelaufen? Ha, wie war das mit den Vorder- und den Hinterpfoten? Die Gäste aus der Wachau rätseln mit, auch das Paar aus Limburg. Von rechts nach links?