Rechtspopulismus: Die Mär vom betrogenen Volk
Frankfurter Rundschau
Sie pflegen Feinbilder und erklären sich selbst zu Opfern. Wie Rechtspopulisten Hass und Zerstörungswut schüren - und welche Bedingungen zu antidemokratischen Haltungen führen.Von Vera King und Ferdinand Sutterlüty
Im Horizont demokratischer Kulturen scheinen sich Symptome des Rückschritts abzuzeichnen. Der Sturm aufs Kapitol nach den letzten Präsidentschaftswahlen in den USA, deren Ergebnisse vom Verlierer bestritten wurden, war ein Tiefpunkt solcher Entwicklungen. Auch in Europa ist der Aufstieg von Bewegungen zu beobachten, die demokratische Errungenschaften unterminieren: Sie beziehen sich auf das Wahlrecht und negieren zugleich die Legitimität der demokratischen Konkurrent:innen. Sie attackieren Rechtsstaatlichkeit oder Gewaltenteilung und berufen sich zugleich darauf, wenn es opportun erscheint. Sie wenden sich gegen Minderheiten und reklamieren für sich selbst jene demokratischen Schutz- und Freiheitsrechte, die sie in anderer Hinsicht massiv bekämpfen. Sie greifen an und deklarieren sich als diskreditierte Opfer.
Derartige Denk- und Handlungsmuster sind typisch für Phänomene, die unter dem Begriff des Rechtspopulismus gefasst werden. Rechter Populismus bekräftigt und erzeugt, jener Doppelbödigkeit entsprechend, situativ immer neu an Stimmungen angepasste Ideologeme. So wurden etwa im Laufe der Coronapandemie innerhalb rechtsgerichteter Strömungen durchaus unterschiedliche Standpunkte eingenommen, die Unmut in der Bevölkerung mit wechselnden Inhalten aufzugreifen versuchten. Entsprechend heterogen und fluide sind die Zusammensetzung der Akteur:innen, ihre Strategien und deklarierten Ziele.
Dieses diffus wirkende Erscheinungsbild ist ein auffälliges Charakteristikum. Es bietet immer wieder Anlass, den Begriff des Rechtspopulismus als zu unbestimmt in Frage zu stellen. Auch könnten politische Artikulationen Benachteiligter durch diese Zuordnung entwertet werden, wobei sich Rechtspopulismus sozialstrukturell, wie Studien betonen, nicht eindeutig an Milieus binden lässt. Das Stichwort ‚Populismus‘ kann darüber hinaus verharmlosend wirken angesichts der oft unterschätzten Gefahren, die von der breiten Allianz rechtsgerichteter Strömungen für die Demokratie heute ausgehen.