Paula Modersohn-Becker; Der intime Blick auf die Welt und die Menschen
Frankfurter Rundschau
Die Werke der berühmten Malerin und ihre Radikalität können in der Schirn Kunsthalle Frankfurt noch einmal neu entdeckt werden. Von Sandra Danicke
Man geht hinein und ist sofort im Bann der Künstlerin. Ihre braunen Augen schauen warm aber auch sehr ernst auf uns herab, der Mund wirkt skeptisch, vielleicht auch ein wenig belustigt; im Nacken hat sich eine Locke aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst. Als Paula Modersohn-Becker dieses fast schon hypnotische Selbstbildnis malte, war sie etwa 22 Jahre alt und stand am Beginn ihrer Laufbahn. Es sollten noch viele Selbstbildnisse folgen, doch keines davon wirkte je wieder so naturalistisch.
Das Bild hängt am Eingang einer großen Retrospektive in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, einer Schau, die auf mehrfache Weise bemerkenswert ist. Zum einen durch ihren Umfang - 116 Gemälde und Zeichnungen aus allen Schaffensphasen. Denn letztlich kennen die meisten von uns von Modersohn-Becker, die in ihrem kurzen Leben - sie starb 1907 mit nur 31 Jahren im Kindbett - eine gigantische Zahl von Werken schuf, nur eine Handvoll, diese allerdings sind legendär.
Wer an Modersohn-Becker denkt, hat fast automatisch ihr „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag“ (1906) im Kopf. Das Gemälde zeigt die Künstlerin als Halbakt mit gewölbtem Bauch und Bernsteinkette. Es gibt von Modersohn-Becker allerdings rund 60 Selbstbildnisse, die meisten davon eindringlich und berührend; die Ausstellung zeigt eine große Bandbreite an Stilen und Ausdrücken, mal sanft, mal streng, mal in schrillen Tönen gemalt, mal in gedeckter Farbigkeit. Doch in diesem speziellen Fall, dem Hochzeitsbild, war die Art der Darstellung besonders bemerkenswert.