Nützliche Falten
Süddeutsche Zeitung
Maria Stuart verwendete im letzten Brief vor ihrer Hinrichtung eine raffinierte Versiegelungstechnik, die erst jetzt geknackt wurde.
Das Briefgeheimnis ist ein Segen, das wussten Königinnen und Politiker schon vor Jahrhunderten, aber es allein bietet keinen ausreichenden Schutz. Heute würden die damaligen Briefeschreiber wohl auf Verschlüsselungstechniken, Codes und Passwörter schwören, denn ihnen war nur zu bewusst, wie man Nachrichten unbemerkt abfängt: Bis ins 19. Jahrhundert sind sogenannte Schwarze Kammern in den Postämtern Europas nachweisbar. Dort wurden die Korrespondenzen geöffnet, geprüft, unbemerkt abgeschrieben, wenn sie von Interesse waren - und wieder in Umlauf gebracht. Kein Wunder also, dass einiges an Aufwand betrieben wurde, nicht nur den Text zu verschlüsseln, sondern auch das unbemerkte Öffnen und Wiederversiegeln des Briefes zu erschweren.
Die Restauratorin Jana Dambrogio vom Massachusetts Institute of Technology hat für Siegel wie diese den sprechenden Begriff "Letterlocking" geprägt. Mit ihrer interdisziplinären Forschergruppe "Unlocking History Research Group" hat sie sich auf die Rekonstruktion historischer Briefsiegel spezialisiert. Der Begriff "Letterlocking" beschreibt die Technik treffend, denn den Briefen werden hierbei tatsächlich Schlösser angelegt. Natürlich sind das keine metallenen Vorhängeschlösser, sondern die Briefschlösser werden durch geschicktes Falten, Schneiden und Fädeln des Briefpapiers erzeugt und mit Siegelwachs befestigt.
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Viele dieser Konstruktionen lassen sich am ehesten als eine komplexe Mischung aus Origami, Scherenschnitt und Klebearbeiten beschreiben. Dambrogio und ihr Team haben einige der gängigsten Letterlocking-Methoden nicht nur rekonstruiert, sondern auch ein Raster an Schwierigkeitsstufen entwickelt, das sich nach der Komplexität der Faltungen wie auch der Schnitt- und Fädeltechnik richten. Auf dem Youtube-Kanal "Letterlocking Videos" sind Anleitungsvideos versammelt - eine Mischung aus kunsthandwerklicher Bastelanleitung und historischer Rekonstruktion. Hier sind geschichtlich bedeutsame Einzelbriefe berücksichtigt - etwa von Marie Antoinette und Caterina de' Medici. Andere Videos erklären alltagstaugliche Techniken wie das "Triangle Lock", aber auch besonders komplizierte Methoden mit bis zu 30 Einzelschritten. Die "dagger trap" etwa, die einen unsichtbaren Selbstzerstörungsmechanismus enthält. Sie lässt sich nachträglich nicht mehr reparieren und ist somit spionagesicher.
So manch einer mag sich wundern, wie viel Aufwand für eine Nachricht betrieben wird, die man auch in einen Umschlag stecken könnte. Doch das heute noch gängige Kuvert fand erst im 19. Jahrhundert Verbreitung. Bis dahin mussten sich Briefschreiber anderweitig behelfen. Die schottische Königin Maria Stuart etwa wusste nur zu gut, was es heißt, wenn ein Brief in die falschen Hände gerät. Ihre Verwicklung in ein Mordkomplott an ihrer Cousine, Englands Königin Elizabeth I., kostete sie letztlich das Leben. In der Nacht vor der Hinrichtung am 8. Februar 1587 schrieb sie noch einen letzten Brief. Ihrem Schwager Heinrich III. von Frankreich wünschte sie ein gesundes und langes Leben - und inszenierte sich als Märtyrerin, die als Katholikin im bereits protestantischen Empire unterdrückt und deshalb des englischen Throns beraubt worden war.