Latin Angeles
Frankfurter Rundschau
Letters from LA (1): Kann die kommende Mehrheit noch eine multikulturelle Demokratie bauen?
Die Vielvölkermetropole Los Angeles war stets auch eine Hochburg von „White supremacists“, von weißen Rassisten und ihrer Obsession, die anglo-amerikanische Hegemonie in den Vereinigten Staaten zahlenmäßig wie politisch-kulturell auf ewig zu festigen. Demografische Prognosen weisen in eine andere Richtung: Binnen einer Generation wird die nichthispanische weiße Bevölkerung landesweit auf unter 50 Prozent sinken; in der „Greater Los Angeles Area“ stellen LatinX, wie man Menschen mit lateinamerikanischem Hintergrund politisch korrekt nennt, bereits die Hälfte der gut 14 Millionen Einwohner. Ja, und? Die Aussicht, dass „Weiße“ in ganz Kalifornien nicht länger selbstverständlich „Mehrheit“ sind, radikalisiert die Suprematisten, mit deren Hilfe Donald Trump, ihr Patron, seine Abwahl verhindern wollte. Vor fünf Jahrzehnten schon wurden die Hispanics als Rückgrat der „künftigen demokratischen Mehrheit“ (John Judis/Ruy Teixeira) anvisiert, doch im minderheitenfeindlichen Mehrheits-Wahlsystem konnten sich die überwiegend weißen Republikaner an der Macht behaupten.
Das Phantasma des Bevölkerungsaustauschs nimmt Ausmaße eines Bürgerkriegs an. Einer seiner Krieger ist der bis dato unbekannte Politikstudent Christian Secor, der als „alt-right“ an der liberal eingestellten UCLA aufgetreten ist und Trump-skeptische „Bruin Republicans“ nach rechts zu rücken versucht hat. Am 6. Januar 2021 war er an vorderer Front beim Sturm aufs Capitol dabei, nun wartet er auf seinen Prozess. Verhaftet wurde der 22-Jährige im Haus seiner Mutter in Orange County. Der Wohnort mag Zufall sein, doch der Bezirk südlich von Los Angeles war stets ein Schaufenster des monokulturellen Amerika: weiß, reich und religiös. Ronald Reagan adelte ihn als den Ort, an dem gute Konservative am liebsten zur letzten Ruhe gelegt würden. Und hier trägt derzeit auch kaum einer eine Gesichtsmaske.
Doch die konservative Super-Mehrheit ist dahin, Joe Biden hat auch hier gewonnen. Die bröckelnde Vorherrschaft stachelt eine vigilantische Avantgarde zu erhöhtem Widerstand an. Zuletzt agierten sie als Covid-Leugner und Impfgegner und kündigten der Regierung ein Armageddon an. Wenn der Staat sein Gewaltmonopol nicht wahrnehme, müssten bewaffnete Bürgerwehren Selbstjustiz üben – diese tief in der politischen Kultur verankerte Vorstellung erklärt die laxen Waffengesetze und eine lachhafte Überdehnung des Notwehrgedankens.