Gerard Donovan „In die Arme der Flut“: Also darum geht es hier
Frankfurter Rundschau
In Gerard Donovans Roman „In die Arme der Flut“ ist der Tod eine Verlockung.
Luke Roy, nächsten Monat würde er 37, ist auf eine Brücke gegangen, mit der das Städtchen Ross Point groß werden wollte, über die aber noch nie jemand gefahren ist. Eine Bauruine. Dort oben steht er nun, beobachtet das Wogen des Moss Rivers in der engen Schlucht fünfunddreißig Meter unter ihm, beobachtet, wie die Felsen umspült werden, immer wieder verschwinden, wie das Meer drückt, das Wasser strömt und schäumt. Es scheint Luke Roy wichtig, den genau richtigen Moment zu erwischen, den Moment, in dem das Wasser seinen Körper in die kraftvolle Strömung, dann ins Meer ziehen und er zügig ertrinken wird, sollte er da noch nicht tot sein. Denn er weiß von einem Fall, in dem ein Mann sich das Leben nehmen wollte, tagelang schwer verletzt unten lag. Keiner sah ihn, keiner fand ihn rechtzeitig.
Gerard Donovan, geborener Ire, inzwischen im Staat New York lebend, beschäftigte sich schon in seinem international erfolgreichen Roman „Winter in Maine“ mit einem Mann, der den Tod billigend in Kauf nimmt – allerdings den anderer, von denen er annimmt, dass sie seinen Hund getötet haben könnten. Er ist sich seiner Sache einigermaßen sicher, das muss genügen.
Luke Roy, Fabrikarbeiter, weiß von seinem Todesdrang, er ist überzeugt, dieser lauerte bereits in seinem Blut, als er ein Kleinkind war und oben an einer Treppe stand. Das Erdrosseln hat er als Teenager ausprobiert, geprobt. Jetzt will er sich „In die Arme der Flut“ fallen lassen, endgültig. Perfekt soll es sein. Doch das wandelbare Wetter spielt nicht mit, Nebel zieht auf: „Er will nicht im Nebel sterben.“ (Nun könnte man fragen: Ist das nicht egal?)
Der Nebel ist Lukes Glück. Und sein Unglück. Dann wieder sein Glück. Dann wieder sein Unglück.
Luke verlässt die Brücke, geht nun doch zur Arbeit in die Fabrik, wird auf dem Pfad Zeuge des Kenterns eines Boots, sieht einen Jungen den Fluss hinuntertreiben, rennt zurück auf die Brücke, springt hinunter – und das Unglaubliche geschieht, er kann den Jungen retten, auf einen Felsen schubsen, dann selbst verletzt auf einen Felsen klettern.