Gedenken am 9. November – Mahnung für die Zukunft
Frankfurter Rundschau
Wie man der Gedenk-Konkurrenz um den 9. November entkommen könnte. Ein Plädoyer.
Ein „mehrfach überschriebenes Datum“ nennt Aleida Assmann (FR vom 18.11.2021) den 9. November, den Tag, den Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede „den deutschen Tag schlechthin“ nannte. Kulturwissenschaftlerin Assmann stimmt der Empfehlung des Bundespräsidenten zu, diesen Tag „als Tag zum Nachdenken über unser Land“ in all seiner Vielfältigkeit im Gedächtniskalender der Republik zu verankern. Demgegenüber besteht der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, darauf, aus dem Erinnerungspaket 9. November einzig und allein „nur eines herauszuholen: den 9. November 1938“.
Diese am 9. November 2021 veröffentlichte Forderung des Zentralrats wurde mit dem Argument begründet: Man stünde „Forderungen skeptisch gegenüber, am 9. November mehrerer historischer Ereignisse gleichzeitig zu gedenken. Der 9. November sollte ein nationaler Gedenktag für die Opfer der Schoah werden“. Somit wurde eine Kategorie eingeführt, die man eigentlich „Gedenkwettbewerb“ nennen könnte, eine Kategorie, die mit Blick auf die Zukunft erinnerungspolitisch fraglich ist, umso mehr wenn man sich in Deutschland um die Erinnerung an das Schicksal der deutschen Juden in der NS-Zeit bemüht.
Wie schädlich Konkurrenzkämpfe bei der Gestaltung des kollektiven Gedächtnisses werden können, wie man erwünschte Ziele der Erinnerungsarbeit verfehlen kann, ist mittlerweile allgemein bekannt. Die aktuelle Debatte um Kolonialismus und Holocaust als genozidale Ausbrüche ist hierzu ein Paradebeispiel. So auch die Debatte um die Anwendung des Begriffs Holocaust für Massenmorde jenseits der „Endlösung der Judenfrage“, oder – im israelischen Kontext – der Versuch, Holocaust und Nakba (die Katastrophe der Palästinenser zur Zeit der Gründung Israels) gegeneinander aufzuwiegen.