Gedenk-Festival „Wir sind hier“: Plätze freimachen
Frankfurter Rundschau
Das zweite Gedenk-Festival „Wir sind hier“ in Frankfurt und Hanau.
Dass es möglich ist, in geschützter Atmosphäre öffentlich und zeitgemäß über rassistische Gewalt zu diskutieren, hat das Gedenk-Festival „Wir sind hier“, das im Literaturhaus Frankfurt und im Kulturforum Hanau zum zweiten Mal vor rund 2300 Interessierten live und digital stattfand, überzeugend bewiesen. Das gastgebende Team hatte hierfür entsprechende Vorkehrungen getroffen. Die Autorin Jasmina Kuhnke, die ihre Präsenz auf der Buchmesse aus Sicherheitsbedenken abgesagt hatte, nahm jetzt beispielsweise unangekündigt als Überraschungsgast teil, auch wurden die Handtaschen des Publikums am Eingang kontrolliert.
Ausgewiesene Vordenkerinnen und Autoren der diversen literarischen Welt sind von Selma Wels und Benno Hennig von Lange, die das Festival kuratierten, in seltener Dichte zusammengeführt worden. Spürbar wurde: Ein Generationenwechsel hat stattgefunden. Die Kinder der nach Deutschland eingewanderten Elterngeneration sind nicht mehr bereit, Herabwürdigungen, Ausgrenzungen, Bedrohungen und Verletzungen hinzunehmen. Wandel ist auch im literarischen Milieu erforderlich. Im Literaturbetrieb gebe es weiterhin eine gläserne Decke, gegen die migrantisch gelesene Personen schmerzhaft stießen, erklärte Selma Wels in ihrer Begrüßungsrede. Auch Auszeichnungen beseitigten diese Hürde nicht, so Wels.
Im ersten Podium sprach die Frankfurter Politikerin Mirrianne Mahn solche Missstände eloquent an. Offen hatte sie sich bereits in einer Intervention bei der Friedenspreisverleihung 2021 für die Sicherheitsanforderungen Schwarzer Menschen eingesetzt und wiederholte ihre von Dunja Hayali (Moderation) als „relativ radikal“ eingestuften Forderungen.
Zwar mochte sich Soziologe Aladin El-Mafallani im Konflikt zwischen Kuhnke und der Buchmesse nicht positionieren, wies jedoch darauf hin, dass wissenschaftliche Studien gerade in Institutionen wie der Polizei und in Bildungseinrichtungen massive Gefährdungen durch intendiertes rassistisches Verhalten nachgewiesen haben. Das gelte auch für Strukturen in der Bundeswehr, bestätigt der Leutnant zur See der Reserve und „Spiegel“-Autor Hasnain Kazim, der dieses Thema in einem im Herbst erscheinenden Roman bearbeiten wird.
Doch geht es nicht mehr primär darum, Ursachen und Fakten zu verstehen und zu erklären. Im zweiten Podium, das der feministischen Dimension von Intersektionalität gewidmet war, forderte die Wissenschaftlerin Emilia Roig einen Wandel ein, der alle öffentlichen Institutionen umfasst. In ihrem 2021 im Aufbau-Verlag erschienenen Buch „Why we matter. Das Ende einer Unterdrückung“ untersucht sie systematisch Missstände im alltäglichen Umfeld wie Schulen, Universitäten, Justiz, Krankenwesen und Medien. Die erkannten Formen der Unterdrückung gelte es als Tatsachen anzuerkennen. Von diesem Punkt aus müsse weitergedacht werden. In Gesprächen könne man nicht immer wieder neu bei Null anfangen. Das führe dazu, dass man, wie jüngst im Frankfurter Stadtparlament, noch über rassistisch diskriminierende Einzelworte streite.