Digitales Schreiben: Das Neue Neu greift zu kurz
Frankfurter Rundschau
Ob wir es nun Digitales Schreiben nennen oder Elektronisches Schreiben, eines bleibt es immer: Schreiben.
Im Wintersemester war ich an einer Ringvorlesung der Technischen Universität Dresden, beteiligt, die vom „Digitalen Schreiben“ handelte. Eigentlich ist jedes Schreiben digital, denn das analoge Gewaber der gesprochenen Sprache wird dabei durch diskrete Signale, die Buchstaben, dargestellt. „Diskret“ heißt nicht, dass man die Buchstaben in einem unauffälligen Umschlag verschickt. Es bedeutet, dass das Gewaber in nur ungefähr 30 verschiedenen Zeichen verstaut ist, die sich – außer in ganz lausigen Handschriften – einigermaßen klar voneinander trennen lassen. Im Prinzip ist es der gleiche Vorgang wie bei der Digitalisierung von Musik, wenn die Rille auf der Schallplatte oder die Schallwellen der Luft in Zahlenwerte übersetzt werden.
Aber die Meinungen darüber gehen auseinander. Auch Fachleute finden es manchmal erbsenzählerisch und verkehrt, schon Keilschrifttafeln als digital zu bezeichnen. Und um Keilschrifttafeln ging es auch in der Ringvorlesung nicht mal am Rande. Sie handelte von relativ neuen Schreibpraktiken.
Dabei ist digitales Schreiben eigentlich möglich, seit es digitale Computer gibt, also seit den 1940er Jahren. („Digitale Computer“, das klingt wie „nasses Wasser“, ist aber nicht nur eine schlampige Formulierung. Es gab wirklich vorher analoge Computer.) Der Begriff Digitales Schreiben ist aber viel jünger.
In Dieter E. Zimmers 1991 erschienenem Buch „Die Elektrifizierung der Sprache“ ist noch von elektrifizierten Autoren und Lesern die Rede, vom vollelektronischen Autoren-Arbeitsplatz, gelegentlich auch vom Elektronischen Schreiben und von computergeschriebenen Texten. In weiten Teilen kommt das Buch ganz ohne allgemeinen Begriff für sein Thema aus. In „Elektronisches Publizieren: Eine kritische Bestandsaufnahme“, einer etwa zur gleichen Zeit erschienenen Studie im Auftrag des Bundesforschungsministeriums, geht es neben dem Elektronischen Publizieren viel um das Computerschreiben.
Das sind alles keine Optionen mehr. Elektrisches Schreiben kann man nur ironisch sagen, wenn man eine Veranstaltung dekorativ mit Staub überziehen möchte. Computerschreiben klingt nach den 1980er Jahren und Elektronisches Schreiben nicht viel neuer. Schreiben im Netz war in den 1990er und 2000er Jahren ein Notbehelf. Jetzt sind wir beim Digitalen Schreiben angekommen, der aktuellen Formulierung für „Schreibweisen, die einigermaßen neu sind“.