Das Auge denkt mit
Süddeutsche Zeitung
Wie der Prager Philosoph Bernard Bolzano zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf die Idee kommt, aus Farben Musik zu machen.
Leicht zu lesen sind die Tagebücher des Prager Philosophen und Mathematikers Bernard Bolzano (1781-1848) zunächst nicht. Die akribisch edierten Manuskripte, die im Hamburger Meiner-Verlag, vor allem aber im Fromann-Holzboog-Verlag im Rahmen einer seit 1969 fortlaufenden Gesamtausgabe erschienen sind, strotzen vor Zusatzzeichen, Klammern und aufgelösten Abkürzungen. Aber nach kurzer Zeit hat man sich eingewöhnt, denn die schier unbegrenzte Breite der Themen und die unbefangene Klarheit von Bolzanos Denken fasziniert unmittelbar, unterhält, animiert. Mit einer souverän eleganten Fundamentalkritik wettert er gegen die Aufklärungsfeindlichkeit der Kirche, überlegt aber auch, "warum man Fehlschlüsse, Lücken etc. in seinen eigenen Aufsätzen schwerer bemerkt" als andere aus veränderter Perspektive. Sogleich kommt Bolzano, das ist typisch für sein Denken, wieder auf die unmittelbare Anschauung: "Von der Vorderseite in einen Guckkasten hineingesehen, scheint Alles zusammenzuhangen (sic); von einer anderen Seite sieht man lauter Lücken."