Cup der guten Hoffnung
Süddeutsche Zeitung
Das luxemburgische Esch, Kaunas in Litauen und das serbische Novi Sad beginnen ihr Jahr als "Europäische Kulturhauptstadt". Für wen wird da eigentlich groß aufgespielt?
Der Intertoto-, später UI-Cup ist mit seinem Auslaufen 2008 weitgehend in Vergessenheit geraten, und mit ihm für immer verloren ist die Erinnerung an fußballerische Spitzenleistungen von Vereinen wie Boldklubben 1903 oder Tatabányai Bányász SC, auch solche der Betriebssportgemeinschaft Wismut Aue. Immerhin erinnert man sich in Stuttgart noch daran, in der dritten Runde des UI-Cups einmal nach einer Auswärtsniederlage gegen Saturn Ramenskoje doch noch weitergekommen zu sein, aber so ist das eben, wenn man nicht viel hat, woran man sich halten kann.
Damit schnell ins noch frische Jahr 2022 und zu den Spitzenstädten Esch (Luxemburg), Kaunas (Litauen) und Novi Sad (Serbien). Mit graduell unterschiedlich extravaganten Eröffnungsfeiern feiern diese jeweils derzeit den Beginn ihres Jahres als "Europäische Kulturhauptstadt". Herzlichen Glückwunsch allen Preisträgern - und zugleich aus also gegebenem Anlass trotzdem mal ganz vorsichtig die Frage, welchen Sinn Auszeichnung und Dasein als "Europäische Kulturhauptstadt" grundsätzlich haben.
Beim UI-Cup konnte seinerzeit nach nationaler Vorauswahl im Grunde fast jeder teilnehmen - und der Ruf als "Cup der guten Hoffnung" drückte lange nicht nur Zuversicht aus. Der Wettbewerb war auch einer für das Europa der Angeschlagenen und Verlierer. Dagegen nun ist auch im Fall der "Europäischen Kulturhauptstadt" erst einmal gar nichts zu sagen, im Gegenteil. In Brüssel, Berlin und anderen Groß- und Hauptstädten des Kontinents lässt sich der Zauber der europäischen Idee aus tausend Gründen im Alltag leichter erschließen als in fast aller Peripherie. Deswegen hat es Sinn, Europa genau dort, in der Peripherie, erlebbar zu machen und es wenigstens punktuell in den Köpfen und Herzen derer zu revitalisieren, die es letztlich politisch tragen und finanziell bezahlen müssen - der Bürgerinnen und Bürgern also. Die Fragen aber lauten, wie das geschieht, wer außer Bürgern vom schieren Versuch profitiert und ob das erklärte Vorhaben am Ende überhaupt gelingt. Was passiert also, wenn eine Stadt Kulturhauptstadt ist?
Schon beim Versuch, sich diesbezüglich einen Überblick zu verschaffen, droht kolossales Scheitern. Allein in Luxemburg sind 160 "Projekte" vorgesehen und etwa 2000 Veranstaltungen, verteilt auf Esch und gleich 18 weitere Gemeinden im Süden Luxemburgs sowie dem angrenzenden Frankreich. So richtig beflügelt wurde die Fantasie auch nicht durch ein Interview, das Nancy Braun neulich in "Fazit" im Deutschlandfunk Kultur gegeben hat. Die "Generaldirektor" [sic!] der Kulturhauptstadt Esch-sur-Alzette sagte, Esch habe "das Potenzial erkannt", es gelte nun, "zu dynamisieren", den "interdisziplinären Dialog zu fördern", auch wolle man "neue Strukturen aufbauen, bestehende in ein neues Licht setzen", um "die Stadt, die Region auf die Landkarte [zu] setzen". Man habe sich, sagte Frau Braun, "Remix Culture genommen als Leitmotiv, wo wir eigentlich alles Bestehende (...) an Kultur einfach zusammenbringen, neu mischen, um Neues zu erstellen".
Aus diesem Leitmotiv wurden im Verlauf des Gesprächs dann noch verschiedene "Achsen" konstruiert. Vielleicht wird der große Kultur-Remix ja mit einem leistungsstarken Quirl vorgenommen.
