Zum Tode von Emil Mangelsdorff: Musik für Freiheit und Gleichheit
Frankfurter Rundschau
Zum Tode des einflussreichen Jazzmusikers und politischen Zeitzeugen Emil Mangelsdorff.
Wie aus einer anderen, auch nicht besseren Epoche ragte Emil Mangelsdorff in unsere Zeit herüber, als historische Figur, als Musiker und als Mensch mit großem, freundlichem Herzen und politischem Bewusstsein. Das Frankfurt seiner Jugend war noch die alte, malerische Großstadt mit der unnachahmlichen historischen Bausubstanz in der Innenstadt, vertikal gegliedert von Kirchtürmen und Dom – eine Stadt, die niemand mehr kennt, seit sie im Zweiten Weltkrieg den Bomben zum Opfer fiel.
Aufgewachsen ist Emil Mangelsdorff nicht in der Altstadt, sondern in der von der optimistischen, dem Licht zugewandten Moderne des frühen 20. Jahrhunderts geprägten Ernst-May-Siedlung in Praunheim, als ältester Sohn in einer sozialdemokratisch geprägten Familie, zu der auch einige Musiker gehörten. Mit 15 begann er, Jazz zu spielen, da hatte der Zweite Weltkrieg schon begonnen. Nur kurz war es ihm 1942/43 vergönnt, an Dr. Hoch’s Konservatorium Klarinette zu studieren, wo es die 1928 von Mátjás Seiber gegründete erste Jazzklasse Deutschlands schon nicht mehr gab.
Die neuen Zeiten, die gekommen waren, waren der Musik, die Emil liebte, feindlich gesinnt. Seit Anfang der vierziger Jahre hatte er zu den jungen Menschen gehört, die man heute unter dem etwas pauschalen Sammelnamen „Swingjugend“ zusammenfasst. Sie galten den Vertretern des Nazi-Regimes – wohl mehrheitlich nicht ganz zu Unrecht – als politisch unzuverlässig. Sie hörten, weil deutsche Rundfunksender keinen echten Jazz im Repertoire hatten, Feindsender. Sie schüttelten über den herrschenden Rassismus die Köpfe, trugen die Haare unbotmäßig lang und die Kleidung ungehörig lässig, und sie waren anglophil.
In Frankfurt wurden sie von dem berüchtigten Gestapo-Mann Heinz Baldauf überwacht. Geschickte Verbergungs-Taktiken der jungen Leute für ihre Konzerte in der Rokoko-Diele auf der Kaiserstraße konnten nicht verhindern, dass Emil Mangelsdorff drei Wochen lang von der Gestapo interniert, schikaniert und verhört wurde. Seine Eltern, die nicht wussten, was mit ihrem Sohn geschehen war, wurden abgewimmelt. Und dann musste er an die Ostfront, da war er noch keine 20 Jahre alt. Emphatisch hat er später oft erzählt, wie er während seiner Kriegsgefangenschaft einmal zufällig aus einem fernen Lautsprecher ein paar Takte Jazz gehört habe: sein Lebenselixier.
Als er 1949 aus der Gefangenschaft zurückkehrte, gab es die Stadt, in der er aufgewachsen war, nicht mehr.