Zuflucht in die USA: Nadelöhr Necoclí – „Das ist die Hölle“
Frankfurter Rundschau
Zehntausende müssen auf dem gefährlichen Weg nach Norden durch Kolumbiens Küstenstadt. Dort kassieren Mafiagruppen kräftig ab.
Necoclí - Jeden Morgen kurz nach Sonnenaufgang, wenn die Schnellboote ablegen, schauen Jhoan und sein Kumpel Jhosmer ihnen sehnsüchtig nach. Die beiden Venezolaner stehen an der Mole der Reederei „Catamaran Karibes“ in Necoclí und sehen, wie Männer, Frauen, Kinder ihre Schwimmwesten anlegen, Rucksäcke, Taschen oder Tüten in die Boote hieven, meist in Müllsäcke verpackt, um sie gegen Wasser zu schützen. „Es ist kaum zu ertragen“, sagt Jhoan Barrios. „Das hier in Necoclí ist die Hölle.“ Und aus der gebe es vorerst kein Entrinnen.
Denn man kann aus diesem kolumbianischen Küstenort, einem wichtigen Nadelöhr für Migrant:innen auf ihrem Weg nach Nordamerika, nicht mehr auf eigene Faust weiterziehen. Seit Jahresbeginn kontrolliert die Mafia die Abreise aus Necoclí in Richtung Darién, dem Urwaldpfropf zwischen Kolumbien und Panama. Jene unzugängliche und gefürchtete Urwaldpassage, durch die alle müssen, wenn sie nach Nordamerika wollen und die schon viele Menschen verschluckt hat.
Die Mafias verlangen für die Durchquerung des Darién eine Art Eintrittsgeld. Geld, das Jhoan (33) und Jhosmer (26) nicht haben. Die beiden sind zusammen mit ihren Partnerinnen Mitte Januar in Necoclí angekommen. Das Fischer- und Touristendorf am Golf von Urabá hat eigentlich 35.000 Einwohner:innen; zählt derzeit aber sicher das Doppelte an Bewohnern. Jeden Tag strömen zwischen 500 und tausend Geflüchtete hierher. Necoclí ist Sprungbrett für Menschen, die in die USA wollen. Aber auch Halte-, Rast- und Startpunkt. Seit Jahren ist hier jedes Zimmer, jede Garage, jede Hängematte und nahezu jedes Wohnzimmer vermietet. Und wenn den Flüchtenden das Geld ausgeht, dann schlafen sie, wie Jhoan und Jhosmer auch, am Strand.
Auch die beiden jungen Männer wollten nach ihrem Weggang aus Venezuela hier nur ein, zwei Tage Halt machen und dann weiter. Aber inzwischen müssen die Flüchtenden nicht nur die Schiffspassage über den Golf von Urabá finanzieren, von wo sie dann den lebensgefährlichen Marsch durch den Darién-Dschungel starten. Jetzt müsse man auch das „Geld für die Mafias“ haben, erzählt Jhosmer. „Das sind die Typen, die hier am Strand mit Mopeds auf und ab fahren, die mit den goldenen Ringen oder Halsketten“.
Jhoan und Jhosmer stammen aus Barinas, dem Geburtsort von Hugo Chávez. Jhosmer war Profifußballer in unteren Ligen, Jhoan Manager in einer Kleiderfabrik. Aber weil das Leben daheim nicht mehr zu finanzieren war, haben sie sich Anfang Januar auf den Weg gemacht, erst mit dem Bus, dann als das Geld weg war, zu Fuß. „Wir kommen nicht vorwärts, aber zurück können wir auch nicht. Wir haben daheim alles verkauft“, sagt Jhoan, ein schlanker Mann mit kurzem Haar, der trotz aller Rückschläge nicht aufgeben will.