Warten auf die Flüchtenden: Polen bereitet sich auf den Ernstfall in der Ukraine vor
Frankfurter Rundschau
Krieg in der Ukraine? Das südöstliche Polen bereitet sich schon auf Flüchtende aus dem Nachbarland vor. Dort würden sie auf nicht wenige Landsleute treffen, die dort schon zuhause sind.
Nicht alle Menschen in der Ukraine empfinden einen möglichen russischen Angriff gleichermaßen als Bedrohung. Im Westen des Landes wähnt sich ein Gros der Menschen in sicherer Entfernung zum potenziellen Krieg. Viele erwägen dennoch die Ausreise nach Polen, wo inzwischen fast 1,5 Millionen ihrer Landsleute leben. Das Nachbarland bereitet sich auch schon auf eine mutmaßlich große Zahl von Flüchtenden vor, sollten die Kriegsängste Realität werden.
Vadim Zemlianyi ist in Polen angekommen. Vor sieben Jahren zog der heute 39-Jährige aus der Ost-Ukraine nach Rzeszow im südöstlichen Polen. Die Großmutter von Ziemlianyis Frau war polnischstämmig, und so konnte sich die Familie auf Basis einer „Polen-Karte“ für Auswärtige mit polnischen Wurzeln dort niederlassen. Vor allem aber stießen die kriegerischen Auseinandersetzungen infolge der Maidan-Revolution von 2014 die junge Familie ab – und der Westen zog sie an. „Ich danke Gott jeden Tag dafür, dass wir damals diesen Schritt getan haben“, sagt Zemlianyi, als er stolz seine Produktionshalle zeigt. Er ist kein Asylsuchender mehr, er ist Gründer und Arbeitgeber in der neuen Heimat.
Die Zemlianyis begannen gleich nach ihrer Ankunft in Polen mit der Herstellung hochwertiger multifunktionaler Gymnastik-Sprossenwände für daheim. Inzwischen hat der Betrieb 15 Angestellte – allesamt Polen. Und wie sieht der neue Unternehmer die Situation in der alten Heimat? „Die Ukrainer haben schon so viel erlebt, dass sie inzwischen müde sind, um Angst zu haben. Sie halten noch mehr zusammen und sind bereit zu kämpfen. Doch könnten viele vor allem aus der jüngeren Generation nach Polen kommen; sie suchen Stabilität und Sicherheit für ihre Familien.“ Für die Zukunft der Ukraine selbst, schiebt er nach, „wäre dies eine Tragödie“.
Mit einer „Tragödie“ rechnet auch die Politik in Polen. Viele Städte bereiten sich nun weniger auf arbeitssuchende Migrant:innen vor, als vielmehr auf Schutz suchende Flüchtlinge. Man prüft die Kapazitäten für Unterkünfte und die der medizinischen Versorgung. Anders als bei den Flüchtlingen, die seit Sommer 2021 über die weißrussische Grenze nach Polen wollten, wettert die rechte Regierung der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) nun nicht gegen etwaige „Eindringlinge“. Auch deshalb, weil Menschen aus der Ukraine wie die Familie Zemlianyi als Wirtschaftsmigrierte und Arbeitskräfte geschätzt werden. Inzwischen leben und arbeiten rund 1,5 Millionen von ihnen zeitweilig oder dauerhaft im Land. Seit vielen Jahren schon gibt es für sie wie für andere aus weiteren postsowjetischen Republiken und auch aus Russland Kommende die Möglichkeit, in Polen legal zu arbeiten – nicht nur für jene, die polnische Wurzeln haben.
Und so hat nun Premier Mateusz Morawiecki einen Stab berufen, der die Ankunft von Flüchtlingen aus dem Nachbarland koordinieren soll. „Wir sind hier, um die Ost-Flanke der Nato zu verteidigen, doch auch aus humanitären Gründen helfen wir der Ukraine und den Ukrainern, um im Falle eines russischen Angriffs die Folgen zu mildern.“ Zugleich gilt seit Kurzem ein Gesetz, das die Arbeitsaufnahme für Menschen aus der Ukraine abermals erleichtert – die stille Hoffnung dürfte wohl sein, dass sich die neuen Kriegsflüchtlinge schnell in Arbeitskräfte verwandeln. Die Geflüchteten, kündigt Morawiecki, würden natürlich im gesamten Land untergebracht. Doch die Erstaufnahme werde im Osten Polens erfolgen.