
Sie üben Schießen und Erste Hilfe
Frankfurter Rundschau
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew leben viele Menschen in Angst: Sie rechnen mit einem Einmarsch Russlands in ihr Land. Hunderte Bunker werden vorbereitet, Tausende üben den Häuserkampf.
Es glitzert und blinkt auf dem Sophienplatz vor der goldenen Kuppel der Kathedrale in Kiew. Ein 31 Meter hoher Christbaum steht dort auch nach dem abschließendem orthodoxen Feiertag vom 8. Januar einige Tage später immer noch mit Sternen und roten Leuchtkugeln behängt. Wham!, Boney M. und Bing Crosby berieseln abwechselnd nicht nur den Platz vor der Kathedrale, sondern auch die Cafés und die Restaurants in der herausgeputzten Innenstadt. Es scheint, als hätten die Menschen in Kiew entschieden, dass es besser wäre, wenn die Weihnachtszeit in diesem Jahr nicht endet. Wer weiß, was ihr folgt.
In der nahegelegenen Metrohaltestelle fahren die Menschen vom zentralen Chreschschtschatyk-Boulevard die Rolltreppen rund hundert Meter in die Tiefe zum Bahnsteig. Eine Haltestelle weiter liegt gar die tiefste U-Bahn-Station der Welt. Das unterirdische Labyrinth wurde in den 50er-Jahren unter die Stadt gebohrt. Es sollte Schutz vor einem Atomschlag bieten. Jetzt sollen die Tunnel laut Stadtverwaltung erneut eine Rolle beim Luftschutz spielen. Ob den Menschen beim Weg nach unten mulmige Gedanken durch den Kopf gehen, verraten sie mit keiner Miene.
Anna Lenchowska und ihr Mann Valera haben zum Essen in ihr Apartment am rechten Dneprufer geladen. Erst wird gelacht, getrunken, dann erzählt das Ehepaar vom Notrucksack für die Flucht. Lange hätten sie sogar überlegt, Bekannten im Ausland ihre Papiere zu schicken. Jemand sollte nach ihnen suchen können, falls russische Besatzer sie nach einem Einmarsch verhaften sollten. „Wir machen uns Sorgen, weil wir für Menschenrechtsorganisationen arbeiten. Aber sie würden sich wohl erst um wichtigere Leute als uns kümmern“, sagt Lenchowksa. Im Moment stehe der Kauf einer Powerbank auf der To-do-Liste für den Ernstfall, um bei Stromausfall die Smartphones aufladen zu können. „Am besten wäre wohl eine mit Solarmodul“, sagt Valera.
Das Kiewer Ehepaar hat Ende Dezember damit begonnen, einen Bunker in ihrem Viertel zu suchen. Laut Angaben der Stadtverwaltung von Kiew gibt es derzeit 5000 Luftschutzräume in der knapp drei Millionen Einwohner:innen zählenden Hauptstadt der Ukraine. Allerdings zählt der zuständige Vize von Bürgermeister Vitali Klitschko, Andrij Kryschenko, auf Nachfrage auch gewöhnliche Keller zu den Schutzräumen. Diese werden oft von Lokalen oder Geschäften als zusätzliche Ladenfläche genutzt. „Wir sind dabei, in Fällen, wo es uns für die Sicherheit der Bürger wichtig erscheint, mit den Eigentümern zu sprechen“, teilt der Vize-Bürgermeister mit. Er versichert außerdem, alle Anlagen seien leicht zu finden.
Anna Lenchowska und ihr Mann berichten dagegen von einer langen Internetrecherche nach ihrem Bunker. Sie freuten sich, als sich ein Schutzraum dann im Nachbargebäude fand. „Leider haben wir nie herausgefunden, wer einen Schlüssel dafür hat“, sagt ihr Mann. Er erzählt auch von einem Probealarm Ende Dezember: „Wir fanden das gut, aber als es so weit war, blieb es einfach still.“













