Nur für machtkritische Gemüter
Die Welt
Bundespräsident Frank Steinmeier hat mit seiner Rede zur Eröffnung der Documenta Fifteen eine Diskussion zur Rolle politischer Agitation in der zeitgenössischen Kunst angestoßen – und klargestellt, dass es Grenzen geben muss. Was hat er damit gemeint? Und was bekommen wir nun in Kassel zu sehen?
Ein Plakat prangte vergangenen Mittwoch in schwarzen Lettern auf rotem Grund hoch oben an der Fassade des Fridericianums in Kassel, des historischen Zentrums der Documenta. Darauf war zu lesen: „Free Osman Kavala“. Der Unternehmer und Kulturmäzen sitzt seit 2017 in der Türkei im Gefängnis. Doch nach wenigen Stunden war diese dringliche Botschaft, dieser Appell an die europäischen Demokratien, aus dem Kasseler Stadtbild wieder verschwunden, eilig ersetzt durch schlichte schwarze Quadrate.
Wir werden nicht erfahren, warum das Plakat verschwand, wer erkannt hat, dass es wohl eindeutig den Bereich der Kunst hinter sich lässt, aber diese Aktion wird die Documenta wie ein Geist im Internet begleiten. Denn sie steht symbolhaft für eine wichtige Frage: Ist die Documenta noch eine Kunstausstellung oder schon eine politische Kundgebung? Wie verändert sich ihre Botschaft, wenn keine Einzelkünstler, sondern sozial engagierte Gruppen sie gestalten? Was kann und sollte Kunst leisten, welche Rolle spielt sie in der globalen Debatte über Totalitarismus, Kapitalismuskritik, Rassismus, Antisemitismus, Armut und Klimawandel? Sogar der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stellte sich genau diesen Fragen in seiner Eröffnungsrede: Wann verlässt politischer Aktivismus die Bühne der Kunst endgültig? Wo sind die Grenzen der Kunst?