Krieg in der Ukraine: Wie weit geht Russland?
Frankfurter Rundschau
Der Krieg in der Ukraine wird wohl kaum an den Grenzen des Donbass Halt machen. Eine Analyse von Peter Rutkowski.
Kiew/Moskau – Eine Binse besagt, das erste Opfer des Krieges sei die Wahrheit, und also tut man gut daran, alles, was danach kommt, in sein Gegenteil zu verkehren. Wladimir Putin* spricht von einer „begrenzten militärischen Operation“ in der Ukraine*. Also kann sie auch unbegrenzt sein. Ginge es nur um den Donbass, also die beiden Regionen Donezk und Luhansk, würde es genügen, an der dortigen Front Ablenkungsmanöver zu starten, von Norden wie Süden in das Gebiet vorzustoßen und die ukrainischen Truppen einzukesseln. Allem Augenschein nach geschieht nichts dergleichen.
Russische Truppen sind an der Schwarzmeerküste bei Odessa gelandet, russisch-weißrussische Verbände stoßen von Belarus aus östlich des Dnjepr nach Kiew vor. Andere Einheiten sind in Richtung Charkiw unterwegs. Russische Raketenartillerie, Jets und Kampfhubschrauber zerstören die Basen der ukrainischen Luftstreitkräfte bis weit nach Westen hin, in Iwano-Frankiwsk. Alles eine „begrenzte Operation“, um den Donbass vor den nur in der russischen Propaganda existierenden ukrainischen Terrorbombardements zu bewahren?
Eigentlich sind die Absichten Moskaus ziemlich klar: Ohne die Ressourcen, die Schwerindustrie und die extensive Landwirtschaft vor allem im fruchtbaren ukrainischen Süden ist Russland* dazu verdammt, zur regionalen Mittelmacht zu retardieren. Ein Player unter anderen – wenn auch mit einem gigantischen Hinterland bis Fernost, das allerdings auch nach fast 200 Jahren imperialer Herrschaft immer noch weitgehend unerschlossen ist. Russland drängt seit Jahrhunderten immer nach Westen – das ist eine geopolitische Konstante.
Wie weit nach Westen? Der Ostblock reichte bekanntermaßen bis mitten nach Deutschland hinein, alles östlich davon gehörte zum Sowjetreich, das in seiner Außenpolitik vom ersten Tag 1917 an zaristische Politik fortführte. Putin hat im Vorlauf zur Invasion gefordert, die Nato* solle sich quasi bis hinter die Linie ihrer ersten Osterweiterung 1997 zurückziehen. Das heißt: Im neuen russischen Einflussbereich lägen dann das Baltikum, Polen, Belarus, Ukraine. Allesamt Länder, die schon mal direkt unter russischer Herrschaft waren.
Unbedingt wahrscheinlich ist eine solche Ausdehnung Russlands nicht. Denn bei irgendeinem dieser Länder würde wohl doch die Schmerzgrenze erreicht, ab der die Nato nicht mehr anders kann, als militärisch direkt einzugreifen. Und dann würde an der Oder-Neiße-Front geschossen. Aber Russland braucht all diese Länder nicht, um als Weltmacht aufzutreten. (Belarus ist im übrigen bereits eine reine Marionette.) Die Ukraine reicht da völlig. Und es braucht nicht mal ihr gesamtes Staatsgebiet.