Julie Sassoon „Voyages“: Aus dem weiten Raum des Klaviers
Frankfurter Rundschau
Julie Sassoon und ihr aktuelles Quartett mit „Voyages“.
Das Tenorsaxofon platzt herein wie auf einer steilen Slalomstrecke, trillert kurz, die Rhythmusgruppe macht sich bemerkbar, das Saxofon angelt mit wiederholten melodischen Phrasen im raschen, aber nicht rauschenden Energiestrom. So geht das eine kleine Weile. Dann wird es ganz leise, das Klavier öffnet einen weiten Raum mit behutsam, aber rasend schnell getupften Einzeltönen. Und nie ahnt man: Wie geht es jetzt weiter?
Es gibt keine vertrauten Sequenzen und Schemata, an denen sich Julie Sassoons Kompositionen orientieren. Keine gleichförmigen rhythmischen Perioden weisen zum Horizont, kein Genre-Zaun markiert den Weg, kein Energieschub konzentriert die Initiativen.
„Missed Calls“ ist der Titel der Komposition, die das Album eröffnet. Kurze repetitive Phrasen, die aus der kompositorischen Tradition der minimal music zu stammen scheinen, werden ausgeworfen wie stilistische Anker. Dazwischen gehen die vier Mitglieder des Quartetts je eigene Wege mit gemeinsamer Richtung. Nahe beieinander sind sie in der Herstellung von Überraschungen. Auf raffinierte Weise schafft Julie Sassoon es, mit ihren Kompositionen Erwartungen weder zu wecken noch gar zu erfüllen.
Man könnte ihre Musik auch beschreiben anhand dessen, was nicht in ihr geschieht. Etwa: Es gibt keinen Jazz im bekannten Sinne, keine energiegeladenen Bass-Schlagzeug-Klavier-Saxofon-Strecken, keine liedhaften Strukturen, keine dahin perlenden Klaviersoli, keine tief beatmete Saxofon-Arbeit.
Die Musik, die sie für die Band geschrieben hat und die die Band mit ihr spielt, geht oft wie staunend durch unbekannte Räume, die weniger durch krasse Farben als durch rätselvolle Details, eigensinnige Formverläufe und erstaunliche Tiefen charakterisiert sind. Die manchmal an etwas Älteres erinnern, oft aber an gar nichts und statt dessen eigene Wege beschreiten.