Der Tunnel von Lützerath: Im Untergrund über dem Gesetz
Frankfurter Rundschau
Einige Bemerkungen zum Tunnel von Lützerath.
Abbruchkante Lützerath, das ist nicht verborgen geblieben, ist vielfach zu einem Symbol geworden. Was man sehen konnte, scheint Folgen zu haben, vermutlich nachhaltige. An der Abbruchkante von Lützerath, am Rand der Grube Tausende, als handelte es sich bei ihr nicht um einen lebensgefährlichen Abgrund – von dem sie selbst ja auch so berichteten. Jedenfalls dann, wenn sie über den Braunkohletageabbau sprachen, den durch ihn hintertriebenen Klimaschutz. Tausende an der von Dauerregen aufgeweichten Kante eines Kohleabbaukraters, aus Überzeugung, aus Weitsicht, Verantwortungsgefühl, aus Fahrlässigkeit, aus Neugier, aus Trotz, Leichtsinn? Unter den vielen Fragen war es keine Frage, dass es durch Menschen und vor allem Vertreterinnen und Vertreter einer Generation geschah, die aufs Ganze zu gehen bereit sind. Deshalb der Schritt bis an die Abbruchkante, symbolisch sowieso, aber mehr noch lebensgefährlich.
Beides allerdings auch furchterregend. Sollte es das nicht sein, zum Fürchten, fehlte ein Instinkt, kein ausdrücklich politischer, aber ein Reflex gegen Angstmache, praktisch so etwas wie der Widerstand gegen Endzeitstimmungen. Auch sie mehr selbstgemacht als selbstbestimmt.
Im Loch Was zu sehen war, war so gut wie nichts, kaum mehr als der Eingang zu einem Tunnel, in den sich ein Körper zwängte, kopfüber, die Beine in einer ausgebleichten Hose. Das Foto, das nicht viel zeigte, war dennoch ein Auslöser für beklemmende Vorstellungen. Auf einem anderen Foto zwei vermummte Menschen aus einem Erdloch, mit Helmen, den beiden zur Linken ein Blumenstrauß. Nicht weniger irritierend ein ausgehebelter Fensterflügel auf der anderen Seite.
Das Foto ein Dokument über das Ausharren im Untergrund von Lützerath, ohne Bewegungsspielraum, eingezwängt von Braunkohle, wie man sich denken konnte, denn ihretwegen tobte während der letzten Tage der Konflikt. Nicht das erste Mal, dass Menschen auf diese Weise nicht nur Bäume enterten, sondern unter die Erde gingen. Auch im Hambacher Forst geschah das, und auch hier bereits nach Vorbildern, notdürftig präpariert, mit mehreren Dosen Ravioli, einem Wasserkanister. Die Vorräte reichten, so war zu lesen.
Und woraus waren die Motive gemacht? Waren sie radikal, waren sie abenteuerlich, waren sie aufrichtig? Sicherlich getrieben durch eine unbeirrbare Überzeugung, war es nicht mehr derjenige Glaube wie der von Menschen, die sich, aus Opposition gegen die Gesellschaft ihrer Zeit, in Höhlen verkrochen. Als erklärte Feinde der Zivilisation, als Andersgläubige, die an die Welt, wie sie Politik bereitstellte, aber auch die Kirche, nicht glaubten, deshalb allem absagten mit der einen Ausnahme, dass sie dem Glauben an die letzten Tage der Menschheit anhingen. Davon überzeugt, dass der jüngste Tag unmittelbar bevorstehe, nahm dieser Gedanke Gewalt an über ihre gesamte Gedankenwelt. Also hatte man auch nichts mehr zu verlieren. Lange her diese Hochphase der Eremiten, es war die Zeit der Neuzeit, eine Epoche der Endzeitstimmung.