
Der deutsche Krampf ums Duzen oder Siezen
n-tv
Das kommunikative Nebeneinander von "Du" und "Sie" stiftet immer wieder Verwirrung – und kann sogar für betretenes Schweigen sorgen. Unser Autor plädiert für mehr wohltuende Distanz, um das zu erreichen, worauf es ankommt: eine respektvolle Kommunikation.
Ein freundliches "Sie" hat noch nie geschadet - wobei die Betonung auf "nie" liegt, denn eines steht fest: Die zwischenmenschlichen Störgefühle, die mit dem informellen "Du" auftreten können, gibt es mit dem förmlichen "Sie" einfach nicht.
Viele Menschen, die Deutsch sprechen, machen irgendwann diese Erfahrung: vielleicht mit einem Nachbarn, der nervt. Mit einem Kollegen, der unangenehm wird oder plötzlich einen höheren Posten hat. Oder mit der und dem Ex, die nicht mehr die Alten sind. Man fühlt sich weniger eng, ist nur scheinbar verbunden und definitiv verlegen – wegen zwei Buchstaben in der Anrede. Um weiterhin ohne Beklemmungen aufeinander zu- und miteinander umgehen zu können, wäre Abstand besser. Doch in puncto Anrede bleibt es eine theoretische Fantasie. Denn ist man einmal "per Du", wäre die Rückkehr zum "Sie" der totale Krampf.
Wie seltsam es wirkt, jemanden unvermittelt aus der Duz-Zone heraus zu komplementieren und zum "Siezen" aufzufordern, zeigt das skurrile Beispiel, das ausgerechnet Adolf Hitler abgegeben haben soll - und zwar als Schüler in der Realschule in Linz: Er wollte dort von seinen Mitschülern nur mit "Sie" angeredet werden. Ein irrer, verhaltensauffälliger und womöglich psychopathischer Kauz muss man also sein. Oder nicht?
