100 Jahre Disney – Wie hätte Walt es gemacht?
Frankfurter Rundschau
Wahrscheinlich hätte sich der Konzern einen ruhigeren 100. gewünscht. Aber Krisen haben Walt Disney immer wachsen lassen.
Es fing alles mit einer Maus an“, sagte Walt Disney gerne, aber in Wirklichkeit war es eine Katze. Ein Kater, um genau zu sein: Bevor er in Disneys Zeichentrickserie „Alice in Cartoonland“ den Namen Julius bekam, tobte er bereits durch die frühen Märchenparodien der „Laugh-O-Grams“, die der damals 19-jährige Walt Disney 1920 in Kansas City begonnen hatte. Das war noch vor dem offiziellen Geburtstag des „Disney Bros. Studio“, das Walt und sein Bruder Roy am 16. Oktober 1923 nach dem Bankrott ihrer frühen Unternehmung gründeten. Ganze 250 Dollar Startkapital hatten sie eingebracht und sich beim lokalen Publikum hurtig einen Namen gemacht – doch Walt entwickelte schnell einen wirtschaftlich lebensgefährlichen Perfektionismus: Alle Einnahmen wurden sofort in die nächsten, immer etwas aufwendigeren Filme gesteckt. Alles Wissen über das neue Medium der Animation hatten sich Walt und seine Freunde – der jüngste, Hugh Harman war erst 16 – aus einem Büchereibuch angelesen.
Bei den Feierlichkeiten zum hundertsten Studio-Jubiläum werden diese frühen, zum Teil erst in diesem Jahrhundert wiederentdeckten Filme wohl keine Rolle spielen, dabei steckt schon eine Menge Disney darin. Das Königsschloss der allerersten „Cinderella“ steht gleich am Ende einer typisch amerikanischen Kleinstadt-Main-Street. Eine Idee, die erst 1955 in Disneyland Wirklichkeit werden sollte. Bis heute hält sich das Gerücht, Disney selbst habe nicht zeichnen können. Als habe er späteren Zweiflern zuvorkommen wollen, zeigen ihn die allerersten Filmmeter, die er belichtete, am Zeichentisch.
Walt Disney erzählte die Firmengeschichte gern als eine Serie von Rückschlägen, aus denen stets etwas Gutes wurde. Nach der frühen Pleite nahm er den letzten und aufwendigsten Film, „Alice’s Wonderland“, mit nach Hollywood – als Muster für eine neue Serie. Schnell hatte er einen Verleiher überzeugt und startete die Produktion in der Garage eines Onkels. Eine technische Innovation – die Kinderdarstellerin Virginia Davis agierte in einer gezeichneten Umgebung – beflügelte einen ersten Welterfolg, den die Disney-Brüder nicht einmal bemerkten. In Berlin komponierte kein geringerer als Paul Dessau sogar „Alice“-Stummfilmmusiken für ein großes Orchester.
Doch als die nächste Serie, „Oswald the Lucky Rabbit“, noch erfolgreicher wurde, zeigte sich der nächste Rückschlag in Gestalt einer feindlichen Übernahme: Die in Vertragsdingen unerfahrenen Disney-Brüder hatten ihrem Verleiher alle Rechte übertragen, und dieser hatte heimlich alle Zeichner außer Disneys engstem Freund Ub Iwerks abgeworben. Walt erfuhr davon erst, als er in New York einen besseren Vertrag aushandeln wollte. Auf der Rückfahrt im Zug nach Los Angeles erfand er die Micky Maus. Disneys Fähigkeit, sich nicht unterkriegen zu lassen, sollte auch den Charakter seiner berühmtesten Cartoonfiguren bestimmen, Micky, Donald und Goofy. Und irgendwie bestimmt es auch die Firmengeschichte weit über den Tod ihres Gründers 1966 hinaus: Bis heute bewahrte das Unternehmen als einziges der alten Hollywoodstudios seine Unabhängigkeit.
Mächtige Branchenriesen wie Metro-Goldwyn-Mayer gingen durch viele Hände, aber wer heute das Disney-Gelände in Burbank betritt, sieht noch immer die innovative Architektur, die der deutsche Architekt Kem Weber 1938 nach Walts Wünschen entworfen hat. Nur dass in den schönen Streamline-Art-Deco-Gebäuden nicht mehr gezeichnet wird, sondern das Management residiert. In den 80er Jahren war die Firma unter ihrem Präsidenten Michael Eisner noch einmal wie Phönix aus der Asche auferstanden. In einer Zeit, als kaum noch jemand eine Zukunft im Zeichentrickfilm sah, investierte er antizyklisch in eine Disney-Renaissance. Und mit Märchenfilmen wie „Arielle – die Meerjungfrau“ und „Die Schöne und das Biest“ konnte das Studio an seine Glanzzeiten anknüpfen.