„Wenn China angreift, ergeht es Taiwan noch schlechter als heute der Ukraine“
Frankfurter Rundschau
Der Taiwaner Jack Yao hat als Freiwilliger den Kampf der Ukrainer gegen die Russen unterstützt. Er hofft, dass die Welt seinem Land bei einem chinesischen Angriff ebenso beistehen werde.
München/Taipeh – Anfangs hatte er noch Angst, bei einem Angriff der Russen ein Bein zu verlieren oder einen anderen Körperteil, „und nicht einfach nur schnell zu sterben“. Aber diese Angst verschwand bald. Denn wenn man miterlebe, was der Krieg in der Ukraine mit dem Land anrichte, „dann macht man sich keine Gedanken mehr über den Tod“, sagt der Taiwaner Yao Kuan-chun, der im Gespräch mit Ausländern „Jack“ genannt werden möchte. Dann gehe es nur noch um das Hier und Jetzt, darum, anderen Menschen die Hilfe zukommen zu lassen, die sie brauchen. Jack Yao war knapp drei Monate lang in der Ukraine. Als Freiwilliger half er, Lebensmittel und Medikamente an Zivilisten und Kämpfer zu verteilen.
„Unsere Brigade hat außerdem an Aufklärungsmissionen teilgenommen und andere Spezialoperationen durchgeführt“, sagt er FR.de von IPPEN.MEDIA. Auch an der Front sei er gewesen und habe geholfen, Verwundete in Sicherheit zu bringen. Details will der 28-Jährige nicht erzählen – geheim. Nur so viel verrät er: In der Hauptstadt Kiew, im westukrainischen Lwiw und in der Millionenstadt Dnipro im Osten des Landes war er im Einsatz, außerdem im Donbass. Nicht als Kämpfer, sondern als Helfer, wie er betont.
Wie viele Taiwaner in der Ukraine kämpfen oder den dortigen Truppen anderweitig helfen, ist nicht bekannt. Eine Anfrage von IPPEN.MEDIA an das Verteidigungsministerium in Kiew blieb unbeantwortet. CNA, die staatliche Nachrichtenagentur Taiwans, schätzte die Zahl Anfang Juni auf zehn. Jack Yao selbst sagt, er kenne sechs weitere taiwanesische Männer, die in der Ukraine im Einsatz waren. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte bereits drei Tage nach Beginn des russischen Angriffs dazu aufgerufen, sich der neu gegründeten Internationalen Legion der Territorialverteidigung der Ukraine anzuschließen. „Jeder, der sich an der Verteidigung der Ukraine, Europas und der Welt beteiligen will, kann kommen und Seite an Seite mit den Ukrainern gegen die russischen Kriegsverbrecher kämpfen“, sagte Selenskyj Ende Februar. Verlässliche Zahlen darüber, wie viele Menschen diesem Aufruf gefolgt sind, gibt es nicht.
Zwischen Taipeh, der Hauptstadt des Inselstaats, und Kiew liegen fast 8000 Kilometer Luftlinie. Der Ukraine-Krieg ist für die meisten Taiwaner dennoch mehr als irgendein Konflikt am anderen Ende der Welt. Für sie ist der Überfall Russlands auf seinen Nachbarn ein bitterer Vorgeschmack auf das, was ihrem eigenen Land eines Tages drohen könnte: ein Angriff der Volksrepublik China. Denn die Regierung in Peking betrachtet Taiwan als Teil des eigenen Staatsgebiets, bezeichnet das demokratisch regierte Land als „abtrünnige Provinz“ und droht mit der gewaltsamen Eroberung. Und dann, so glaubt Jack Yao, könnte es „Taiwan noch schlechter ergehen als jetzt der Ukraine“. Denn das Kräfteverhältnis sei ein anderes. In China leben 1,4 Milliarden Menschen, im kleinen Taiwan nur knapp 23 Millionen. „Außerdem ist unser Nachbarland besser vorbereitet“, sagt Jack Yao.
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs zeigt sich Taiwan solidarisch mit der Ukraine, obwohl Kiew – wie auch die allermeisten anderen Regierungen weltweit – keine diplomatischen Beziehungen zu Taipeh unterhält. Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen verurteilte den Einmarsch auf Schärfste, und Taiwans Außenministerium erklärte, beide Staaten teilten „die universellen Grundwerte der Freiheit, der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte“. Öffentliche Gebäude im ganzen Land wurden in den Farben der Ukraine angestrahlt, die Bevölkerung sammelte binnen weniger Tage mehrere Millionen US-Dollar an Spendengeldern. Vor allem aber beteiligte sich Taiwan an den internationalen Sanktionen gegen Russland. Moskau reagierte prompt und setzte Taiwan auf seine „Liste der unfreundlichen Staaten und Territorien“.