Von Herrleins und Frauen. Eine Kolumne zum Thema Gendern
Frankfurter Rundschau
Niemand muss gendern. Wer von „Sprachpolizei“ redet, hat lediglich Angst vor dem Verlust der Deutungshoheit.
Dieter Hallervorden war 37, Jürgen von der Lippe 24 und Richard David Precht gerade einmal acht Jahre alt, als am 16. Januar 1972 das „Fräulein“ aus dem behördlichen Sprachgebrauch verschwand. Damals dürften sich all jene gegrämt haben, für die es einem Naturgesetz gleichkam, den Status der Frau an die eigene Existenz zu koppeln – und die schöpfernah das „Fräulein“ ins Frauen-Dasein zu überführen dachten.
Vor 50 Jahren war der Spaß vorbei: Von Amts wegen war das heterosexuelle Paarungsverhalten mit der Ehe als unausweichlichem Finale nicht mehr zwingend. Wenigstens nicht für die Frauen, die zumindest in ihrem Alltagshandeln sprachlich ebenbürtig mit männlichen Pubertierenden sein wollten, die sich ein „Herrlein“ niemals wegkämpfen mussten.
Apropos „Herrlein“. Einige kennen vielleicht die norwegische Autorin Gerd Brantenberg, die 1977 in den „Töchter Egalias“ das Patriarchat konsequent in ein Matriarchat umschrieb. Dort ist es an den Jungmännern, ihren Status aufzupimpen, indem sie eine „Vaterschaftspatronage“ mit einer Frau eingehen. Klingt schräg, entspricht übersetzt aber exakt dem Status quo ihrerzeit und gilt vielerorts nach wie vor.
Das „Herrlein“ wird zwar nicht, hingegen das „Fräulein“ tatsächlich noch durch die Wirtshäuser geplärrt, weil schlicht „das Fräulein“ leichter herumzuscheuchen ist, als ein „Herr Ober“. Entsprechend schafft Sprache gesellschaftliche Hierarchien und entscheidet über die Stellung eines Individuums in der Interaktion.
Und nun versuchen Sie sich einmal vorzustellen, wie das „Herrlein“ Hallervorden Kaffee für seine Chefin kocht oder „Herrlein“ von der Lippe gerügt wird, weil er die Bedeutung von Feminismus einfach nicht kapiert. Schwierig, ich weiß, aber genau jene Typen haben aktuell nichts Besseres zu tun, als die Wirkung der Sprache mithilfe populistischen Patriarchatsgehabes zu leugnen.