Ungarn: "Es herrscht kalter Bürgerkrieg"
DW
Vor der Parlamentswahl in Ungarn spricht der Schriftsteller György Dalos über das vergiftete öffentliche Klima im Land und über die Folgen der gesellschaftlichen Spaltung auch für das Regierungslager um Premier Orban.
Deutsche Welle: Herr Dalos, Ungarn steht kurz vor der Parlamentswahl. Die Gegensätze zwischen Regierungs- und Oppositionslager scheinen unüberbrückbar. Die Polarisierung im Land ist extrem stark. Wie empfinden Sie das?
György Dalos: In Ungarn herrscht eine völlig neurotisierte Atmosphäre. Es herrscht ein kalter Bürgerkrieg, er ist die offizielle Doktrin des Orban-Systems.
Mit dem Begriff "Kalter Bürgerkrieg" beziehen Sie sich auf eine Formulierung des Parlamentspräsidenten Laszlo Köver, der vor einigen Jahren sagte, in Ungarn finde kein demokratischer Wettbewerb statt, sondern es herrsche ein kalter Bürgerkrieg...
Ja. Das war ein präziser Ausdruck. Es geht nicht um einen spontanen Ausbruch, sondern dieser Krieg ist irgendwann erklärt worden. Politisch haben wir einerseits eine EU-skeptische, nationalistische und autoritäre Strömung, andererseits eine Europa-gläubige und nicht nationalistische, die natürlich etwas toleranter ist als die erste Strömung. Die gesellschaftliche Spaltung, die sich daraus ergeben hat, ist leider real und hat ein sehr aggressives Stadium erreicht. Wenn man Leute in Ungarn heute irgendetwas fragt, über einen neuen Film, über ein neues Buch, egal was, kommt sofort diese tiefe Spaltung zum Vorschein. Diese Aggressivität vergiftet das gesamte öffentliche Klima.
Worum geht es eigentlich? Was liegt unter der Oberfläche dieser Spaltung?