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Selenskyj fordert Tribunal für gerechten Frieden
DW
Der ukrainische Präsident besuchte in Den Haag den Internationalen Strafgerichtshof. Doch für russische Verbrechen braucht man mehr, fordert Selensky. Bernd Riegert berichtet.
"Wir alle wollen eigentlichen einen anderen Wladimir in Den Haag sehen, und zwar den, der es verdient hätte, für seine kriminellen Taten genau hier in der Hauptstadt des internationalen Rechts verurteilt zu werden", sagte Wolodymyr Selenskyj in Anspielung auf seinen Namensvetter, den russischen Machthaber Wladimir Putin. Gegen diesen hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag im März einen Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen ausgestellt. Dass sich Putin einem Gerichtsverfahren vor dem internationalen Gericht stellen wird, gilt als ausgeschlossen.
Wolodymyr Selenskyi, der ukrainische Präsident, dessen Land von Russland völkerrechtswidrig angegriffen wird, ist überraschend nach Den Haag gereist, auch um den Internationalen Strafgerichtshof zu besuchen und dessen Arbeit zu würdigen, was in laufenden Verfahren eher ungewöhnlich ist. Schließlich ist der Präsident der Ukraine so etwas wie der Vertreter der Opfer, auch wenn die Ukraine formal nicht Klägerin oder Partei im Verfahren gegen mögliche russische Kriegsverbrecher am Internationalen Strafgerichthof ist. Dessen Chefankläger Khan arbeitet eng mit den ukrainischen Gerichten und Ermittlungsbehörden zusammen, die mittlerweile 85.000 Kriegsverbrechen registriert haben. Khan hält den russischen Machthaber Wladimir Putin für eine Reihe dieser Verbrechen, namentlich die Verschleppung von Kindern aus der Ukraine nach Russland, für persönlich verantwortlich.
In einer kurzen leidenschaftlichen Rede vor niederländischen Diplomaten, Politikern und Medienvertretern in Den Haag, dem niederländischen Regierungssitz, forderte Wolodymyr Selenskyj erneut die Einrichtung eines Tribunals zur Aburteilung russischer Kriegsverbrecher. Der Akt der Aggression, der Angriffskrieg als solcher, kann vor dem Internationalen Strafgerichtshof nicht geahndet werden, weil dieser sich nur mit den Taten einzelner Personen beschäftigt, aber nicht mit der russischen Staats- und Militärführung als solcher. Der ukrainische Präsident, der sich für die bisherige Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs bedankte, sagte, ein Tribunal nach Art des Nürnberger Internationalen Militärtribunals sei notwendig.
In Nürnberg tagte nach Ende des Zweiten Weltkrieges von 1945 bis 1946 ein von den Alliierten Siegermächten eingerichtetes Tribunal, um die Verbrechen der Nazis zu ahnden. Damals wurde neues Völkerrecht geschaffen, weil es ein solches Tribunal zuvor nicht gegeben hatte. Wolodymyr Selenskyj forderte die internationale Gemeinschaft zu "mutigen Entscheidungen auf". Angriffskriege hätten alle gemeinsam, dass die Täter sie anfingen, weil sie glaubten, straffrei agieren zu könnten. Das müsse aufhören. "Totale Bestrafung" von Aggression sei nötig, um künftige Kriege zu verhindern. Frieden könne es für sein Land nur geben, wenn es auch Gerechtigkeit gebe, so Selenskyj.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte sich Anfang des Jahres dafür ausgesprochen, ein Sondertribunal für die Ukraine einzurichten, allerdings keines wie in Nürnberg, sondern ein Tribunal, was nach ukrainischem Recht, aber mit internationalen Richtern besetzt, arbeiten sollte. Die Justizministerinnen und Justizminister der Europäischen Union unterstützten ein solches Sondertribunal nicht. Die EU setzt vorläufig auf die verstärkte Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, der von Russland jedoch nicht anerkannt wird. Die Niederlande und die EU richten zusammen mit dem Chefankläger des Strafgerichtshofes ein spezielles Ermittlungszentrum in Den Haag ein, um Verbrechen in der Ukraine zu dokumentieren und die Täter anklagen zu können.