Rätselraten um Russlands Truppenabzug an der Grenze zur Ukraine
DW
Was ist dran am angeblichen Rückzug russischer Truppen aus dem Grenzgebiet zur Ukraine? Der Westen bleibt skeptisch und wartet auf klare Belege. Derweil bringt die NATO neue Bataillone in Osteuropa auf den Weg.
Der vorgebliche Rückzug russischer Truppen aus dem Grenzgebiet zur Ukraine hatte Hoffnung auf Entspannung geweckt. Dabei ist völlig unklar, ob es überhaupt einen Grund für diesen vorsichtigen Optimismus gibt, denn im Westen gibt es erhebliche Zweifel an dem vermeintlichen Teilabzug. "Bislang haben wir vor Ort keine Deeskalation gesehen. Im Gegenteil: Russland scheint den Militäraufmarsch fortzusetzen", sagt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Bewegungen von Truppen und Kampfpanzern bewiesen noch nicht, dass es einen echten Rückzug gebe. "Sie haben Truppen immer vor- und zurückbewegt." Russland behalte die Fähigkeit, ohne jegliche Vorwarnzeit eine umfassende Invasion zu beginnen.
Ähnlich äußerte sich US-Außenminister Antony Blinken. Er zweifelte die russische Darstellung im US-Fernsehsender MSNBC an. "Was Russland sagt, ist das eine. Was Russland tut, ist das andere." Es wäre gut, "wenn sie ihren Worten Taten folgen lassen würden, aber bis jetzt haben wir das nicht gesehen", sagte er. Russische Soldaten "bleiben in einer sehr bedrohlichen Weise entlang der ukrainischen Grenze versammelt". Auch Großbritannien und die deutsche Bundesregierung erklärten, eine Bestätigung für den russischen Abzug liege noch nicht vor.
Man könne nicht von Entspannung sprechen, sagt auch der Politologe Dr. Stefan Meister. Der Leiter des Programms Internationale Ordnung und Demokratie bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) spricht von einem taktischen Schachzug der russischen Seite. "Russland deeskaliert nicht, sondern es tut nur so, als ob es deeskalieren würde", sagte Meister der DW. Es gehe darum, den Druck etwas nachzulassen, um dann wieder eskalieren zu können.
Das Verteidigungsministerium in Moskau bleibt hingegen bei seiner Lesart eines Abzugs von Truppen. So wird berichtet, dass Soldaten von der Halbinsel Krim im Schwarzen Meer in ihre Kasernen zurückgekehrt seien. Zudem wurde ein Video veröffentlicht, das einen Zug mit Panzern und anderen Militärfahrzeugen auf der Krim-Brücke zeigt. Diese Brücke führt von der Halbinsel, die sich Russland 2014 einverleibt hatte, aufs russische Festland. Schon am Dienstag hatte Moskau den Abzug erster Truppen nach Ende von Manövern angekündigt.
Der Kreml wirft der NATO vor, die Lage nicht richtig zu beurteilen. Im Gegenzug wird behauptet, die USA hätten zur Abschreckung Russlands eigene Truppen mit einer Stärke von 60.000 Soldaten, 200 Panzern und 150 Kampfflugzeugen in Europa stationiert.