Olaf Scholz auf Partnersuche in Südamerika
DW
Der Bundeskanzler fliegt nach Brasilien, Argentinien und Chile. Doch alte Rezepte wirken nicht mehr, Deutschland muss sich in der Region neu erfinden.
Befragt nach den Zielen seiner Visite, wurde der sonst so nüchterne Olaf Scholz fast überschwänglich. "Lateinamerika besitzt unglaubliche Potenziale", so Scholz, und überhaupt, Themen wie der Ausbau der erneuerbaren Energien, Ökologie und Nachhaltigkeit stünden dort genauso auf der Tagesordnung wie in Europa.
Lobeshymnen vom Januar 2023, vor seiner Reise nach Brasilien, Argentinien und Chile? Könnte man denken, doch Scholz sagte dies vor ziemlich genau zehn Jahren im April 2013 - nicht als Kanzler, sondern noch als Hamburgs Erster Bürgermeister vor seinem damaligen einwöchigen Abstecher nach Südamerika.
Es scheint also fast, als sei die Zeit im Verhältnis zwischen Deutschland und der Region stehen geblieben. Seit Jahrzehnten wird Lateinamerika als Partner auf Augenhöhe gepriesen, mit dem man die gleiche Kultur, die gleichen Werte und die gleichen Interessen teile. Eine vollmundig erklärte Lateinamerika-Offensive Deutschlands oder auch der EU jagt die nächste, Günter Maihold kann sie langsam nicht mehr hören.
Der stellvertretende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik fürchtet schon die ewig gleiche Schlagzeile, welche die Reise von Scholz auch diesmal begleiten könnte: "'Deutschland entdeckt Lateinamerika wieder neu'." Oder, was noch schlimmer wäre: "Humboldt wird wieder als historischer Bezug aktiviert, obwohl er zum Beispiel nie nach Brasilien reisen konnte."
Maihold hat für den Berliner Think-Tank das Verhältnis zwischen der EU und Lateinamerika analysiert, sein Fazit fällt längst nicht so positiv aus. "Die gemeinsame Grundlage bröckelt", heißt es in seinem Papier. Die Politik Berlins wie auch Brüssels habe in den vergangenen Jahren in ganz Lateinamerika zu ernsten Brüchen geführt. So habe sich die EU mit der Weigerung, COVID-19-Impfstoffe zu liefern, und ihrer gleichzeitigen Agitation etwa gegen chinesische Impfstoffe nicht eben beliebt gemacht. Auch die Sanktionspolitik gegenüber Russland stoße auf dem Subkontinent auf Ablehnung. "Brasilien besitzt eine hohe Abhängigkeit von Düngemittelimporten aus Russland. Der argentinische Präsident Fernández ist kurz vor Kriegsbeginn noch in Moskau gewesen und hat sein Land als Eingangstor für Russland nach Lateinamerika angepriesen", so Maihold. Über eine große Unterstützung für die deutsche Position zur Ukraine sollte man sich daher "nicht zu viele Illusionen machen".