Nachruf auf Trude Simonsohn: Ein glückliches Leben, trotz allem
Frankfurter Rundschau
Die Frankfurter Auschwitz-Überlebende Trude Simonsohn ist im Alter von 100 Jahren gestorben. Mit ihrem Engagement für Erinnerung und gegen Antisemitismus hat sie die Stadt tief geprägt.
Wenn sie den Raum betrat, auf ihre Gehstöcke gestützt und trotz ihres hohen Alters voller Zähigkeit und Kraft, war sofort klar, dass man einem besonderen Menschen gegenüberstand. Wenn sie einen mit ihren hellwachen Augen ansah, auf ihren Lippen gerne ein feines Lächeln, bemerkte man gleich ihren großen Humor. Und wenn sie dann zu sprechen begann, wenn sie aus ihrem Leben erzählte, einem Leben voller Leid, voller Widerstand und gegen jede Wahrscheinlichkeit, dann dämmerte es einem: Eine Begegnung mit Trude Simonsohn ist nichts, was man so einfach wieder vergisst.
Es gebe ja Menschen, die Briefmarken sammelten, hat Trude Simonsohn einmal gesagt. „Ich sammele Freunde.“ Und wenn man eines über sie sagen kann, dann ist es dies: Ihre Sammlung von Freundinnen und Freunden ist groß geworden im Laufe ihres langen Lebens. In ihrer Wahlheimat Frankfurt, in der sie seit 1955 lebte und die sie erst 2016 zu ihrer Ehrenbürgerin machte – als erste Frau überhaupt –, gibt es wohl niemanden, dem so breiter Respekt und so viel Zuneigung entgegengebracht wurde. Und Trude Simonsohn hat diese Wertschätzung genossen. Sie fühle sich „vielleicht nicht in Deutschland, aber in Frankfurt zu Hause“, hat sie einmal gesagt. Heute ist die Stadt voll von Menschen, die Trude Simonsohn zumindest einmal erlebt haben, die ihr etwa bei einem Zeitzeuginnengespräch zugehört haben. Sie alle hat Trude Simonsohn beeindruckt, und man kann kaum überschätzen, wie sie ihre Stadt geprägt hat.
Geboren wurde Trude Simonsohn am 25. März 1921 als Trude Gutmann im tschechischen Olomouc, auf Deutsch Olmütz. Sie wuchs in einem liberalen jüdischen Elternhaus auf, gab bereits als Jugendliche Nachhilfestunden und trieb viel Sport: Tennis, Skifahren, Leichtathletik. Schon als Schülerin machte sie erste Erfahrungen mit Antisemitismus: Eine Mitschülerin habe bei einer Sprechübung im Englischen einen Text aus dem Hetzblatt „Stürmer“ übersetzt und vorgetragen, berichtete sie einmal, die ganze Klasse habe brav applaudiert. „Ich saß da wie gelähmt.“ Auch wenn sie später weit schlimmere Dinge erlebte, habe sich diese existenziell bedrohliche Szene für immer in ihr Gedächtnis gegraben.
Nachdem die deutsche Wehrmacht ihre Heimat 1939 besetzt hatte, endete ihr bisheriges Leben. Weil sie in einer zionistischen Jugendorganisation jüdische Jugendliche auf die Ausreise ins britische Mandatsgebiet Palästina vorbereitet hatte, durfte sie nicht studieren und keine Berufsausbildung machen. Wegen angeblichen Hochverrats wurde sie 1942 erstmals inhaftiert und später ins Getto Theresienstadt verschleppt. Dort lernte sie den Juristen und Sozialpädagogen Berthold Simonsohn kennen, den sie noch im Getto heiratete, bevor beide 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und an der berüchtigten Rampe voneinander getrennt wurden. Sie gaben ein-ander das Versprechen, sich in Theresienstadt wiederzusehen.
Im Gegensatz zu ihren Eltern und vielen anderen Verwandten, die in unterschiedlichen Konzentrationslagern ermordet wurden, hatten Trude Simonsohn und ihr Mann Glück. Beide überlebten. Trude Simonsohn leistete sogar im Lager Widerstand: Als sie und andere inhaftierte Frauen im Mai 1945 ihre Mäntel abgeben sollten, damit rote Streifen als Kennzeichnung für das Todeslager draufgemalt werden konnten, weigerten sie sich. „Wir haben Nein gesagt, und es ist nichts passiert“, erzählte sie einmal. Letztlich wurde Simonsohn kurz nach Kriegsende im Konzentrationslager Merzdorf, einem Außenlager des KZ Groß-Rosen in Niederschlesien, von der Roten Armee befreit.